Der Janusmann
Wagen war ein Zweisitzer – für seine beiden kleinen Töchter wenig geeignet. Also würde er sich bald ein anderes Auto zulegen müssen. Wir wussten, dass seine Frau nicht vermögend war. Bei jemand anders hätte mir das vielleicht Sorgen gemacht, aber dieser Mann war Ingenieur. Er rauchte nicht, trank nicht. Da war es nur logisch, dass er sein Geld zusammenhielt, um zugreifen zu können, wenn ihm ein Wagen mit Handschaltung und Allradantrieb angeboten wurde.
An diesem Sonntag folgten wir ihm, als er seinen Wagen auf einem der Parkplätze am Hafen abstellte und sich auf eine Bank setzte. Er war ein stämmiger, ziemlich behaarter Mensch. Breitschultrig, aber nicht sehr groß. Er hielt die Sonntagszeitung unter den Arm geklemmt und verbrachte einige Zeit damit, den Segelbooten zuzusehen. Dann schloss er die Augen und wandte sein Gesicht der Sonne zu. Nach etwa fünf Minuten öffnete er die Augen wieder, schlug seine Zeitung auf und begann zu lesen.
»Dies ist das fünfte Mal«, flüsterte Kohl mir zu. »Sein dritter Trip, seit die Konstruktion des Führungsrings abgeschlossen ist.«
»Bisher alles wie sonst?«, fragte ich.
»Identisch«, antwortete sie.
Gorowski beschäftigte sich ungefähr zwanzig Minuten lang mit seiner Zeitung. Er las sie tatsächlich, blätterte alle Teile durch, außer den Sportteil, was mir bei einem Yankee-Fan etwas merkwürdig erschien.
»Achtung, es geht los«, flüsterte Kohl.
Er sah auf und ließ einen gelbbraunen Umschlag aus festem Papier aus der Zeitung gleiten. Riss die linke Hand hoch, um einen Knick aus dem Zeitungsteil zu entfernen, den er gerade las, und um davon abzulenken, dass er gleichzeitig mit der Rechten den Umschlag in den Abfallbehälter, der am Ende der Bank angebracht war, fallen ließ.
»Gut gemacht«, sagte ich.
»Klar doch«, sagte sie. »Dieser Knabe ist nicht blöd.«
Ich nickte. Er war ziemlich gut, stand nicht sofort auf, sondern bieb noch ungefähr zehn Minuten sitzen und las weiter. Dann faltete er die Zeitung langsam und sorgfältig zusammen, trat an den Kai und blickte noch eine Zeit lang auf die Segelboote hinaus. Zuletzt wandte er sich ab und ging mit der Zeitung unter dem linken Arm zu dem Parkplatz zurück, auf dem sein Wagen stand.
»Jetzt kommt’s!«, sagte Kohl.
Ich beobachtete, wie er mit der rechten Hand einen Kreidestummel aus der Hosentasche zog. Er streifte einen Lampenmasten und ließ einen kurzen Kreidestrich daran zurück. Das war die fünfte Markierung an dem Masten. Fünf Wochen, fünf Markierungen. Die ersten vier verblassten bereits. Ich starrte sie durchs Fernglas an, während Gorowski über den Parkplatz ging, in sein Cabrio stieg und wegfuhr.
»Was passiert jetzt?«, fragte ich.
»Absolut nichts«, antwortete Kohl. »Ich war schon zweimal zwei ganze Sonntage lang hier. Es taucht niemand auf. Nicht tagsüber, nicht in der Nacht.«
»Wann wird der Abfallkorb geleert?«
»Am Montagmorgen.«
»Vielleicht ist der Müllwerker der Verbindungsmann.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab mich erkundigt. Der Müllwagen verdichtet alles zu einer kompakten Masse, die direkt in die Verbrennungsanlage gebracht wird.«
»Unsere geheimen Baupläne gehen also in einem städtischen Müllofen in Flammen auf?«
»Nicht die schlechteste Lösung.«
»Vielleicht kommt einer dieser Leute von den Segelbooten nachts heimlich an Land.«
»Nur wenn der Betreffende unsichtbar ist.«
»Vielleicht gibt’s also niemanden«, sagte ich. »Möglicherweise ist der Ablauf lange im Voraus festgelegt worden – und dann hat man den Kerl wegen einer anderen Sache verhaftet. Oder er hat kalte Füße bekommen und die Stadt verlassen. Oder er ist krank geworden und gestorben. Vielleicht funktioniert der ursprüngliche Plan längst nicht mehr.«
»Glauben Sie?«
»Eigentlich nicht«, sagte ich.
»Ziehen Sie jetzt die Notbremse?«, wollte sie wissen.
Ich nickte. »Das muss ich. Ich bin vielleicht ein Idiot, aber nicht ganz dumm. Diese Sache ist völlig aus dem Ruder gelaufen.«
»Kann ich mit Plan B weitermachen?«
Ich nickte wieder. »Nehmen Sie Gorowski fest, und drohen Sie ihm mit Erschießung. Dann versprechen Sie ihm, dass wir nett zu ihm sind, wenn er mitspielt und falsche Pläne übergibt.«
»Schwierig, sie überzeugend zu fälschen.«
»Gorowski soll sie selbst zeichnen«, sagte ich. »Schließlich geht’s hier um seinen Arsch.«
»Oder den seiner Kinder.«
»Gehört alles mit zum Elterndasein«, sagte ich. »Das wird ihm helfen, sich zu
Weitere Kostenlose Bücher