Der Janusmann
für einen Augenblick schweigend. Dann traten wir wieder auf den Korridor hinaus und brachen auch die Tür des letzten Raums auf. Ich stürmte mit schussbereiter Waffe als Erster hinein und blieb wie angewurzelt stehen.
Vor mir sah ich ein Gefängnis. Und es war leer.
Der Raum, drei mal vier Meter groß, hatte weiße Wände und eine niedrige Decke. Kein Fenster. Graues Linoleum, darauf eine Matratze mit gebrauchter Bettwäsche. Auf dem Fußboden verteilt Dutzende von leeren Pappkartons aus einem chinesischen Schnellimbiss sowie Plastikflaschen, die Mineralwasser enthalten hatten.
»Sie war hier«, stellte Duffy fest.
Ich nickte. »Genau wie im Keller von Becks Haus.«
Ich trat an die Matratze und hob sie hoch. Auf dem Fußboden stand das Wort JUSTICE – groß und deutlich in rostbrauner Farbe mit einem Finger hingeschmiert.
»Ist das etwa auch Blut?«, fragte Duffy.
Ich konnte abgestandenes Essen, Angst und Verzweiflung riechen. Sie hatte mitbekommen, wie die ATF-Agentin gestorben war. Zwei dünne Türen konnten die Geräusche nicht sonderlich gedämmt haben.
»Hoisin-Sauce«, sagte ich.
»Wann hat man sie von hier weggebracht?«
Ich begutachtete das Innere einiger Pappkartons. »Vielleicht erst heute Morgen.«
»Scheiße.«
»Also los!«, drängte Villanueva. »Wir müssen sie finden.«
»Noch fünf Minuten«, bat Duffy. »Ich brauche etwas für das ATF, damit diese Sache wieder in Ordnung kommt.«
»Wir haben keine fünf Minuten«, meinte Villanueva.
»Zwei Minuten«, sagte ich. »Nimm mit, was du kriegen kannst, und sieh’s dir später an.«
Wir gingen rückwärts aus der Zelle. Duffy führte uns in das Zimmer mit dem Orientteppich. Eine clevere Wahl, dachte ich. Dies war vermutlich Quinns Büro. Sich selbst einen kostbaren Teppich zu gönnen, sah ihm ähnlich. Sie nahm einen dicken Ordner mit der Aufschrift Zu erledigen vom Schreibtisch und riss alle Listen von der Pinnwand.
»Los jetzt«, drängte Villanueva.
Genau vier Minuten, nachdem ich durchs Toilettenfenster geklettert war, verließen wir das Gebäude durch den Haupteingang. Mir kam es vor, als seien vier Stunden vergangen. Wir stiegen in den grauen Taurus und erreichten eine Minute später die Route One.
»Nach Norden«, sagte ich. »Richtung Stadtmitte.«
Keiner sagte ein Wort. Wir dachten alle an das Dienstmädchen. Ich saß wieder hinten. Duffy blätterte auf dem Beifahrersitz eifrig in Quinns Akten. Auf der Brücke stockte der Verkehr. Wir waren von Leuten umgeben, die in die Stadt wollten, um Einkäufe zu erledigen. Alle fuhren sehr vorsichtig, weil die Fahrbahnen von Regen und der salzhaltigen Gischt rutschig waren. Endlich brach Duffy das Schweigen.
»Klingt alles sehr kryptisch«, sagte sie. »Hauptsächlich geht’s um XX und BB.«
»Xavier Export Company und Bizarre Bazaar«, erklärte ich.
»BB importiert«, sagte sie. »XX exportiert. Aber sie gehören offenbar zusammen. Wie zwei Hälften eines einzigen Unternehmens.«
»Das ist mir schnuppe«, sagte ich. »Ich will nur Quinn.«
»Und Teresa«, fügte Villanueva hinzu.
»Mossberg«, warf Duffy ein. »Sagt dir der Name was?«
»Wieso?«, wollte ich wissen.
»X hat gerade eine Lieferung von Mossberg bekommen.«
»O. F. Mossberg and Sons«, sagte ich. »In New Haven, Connecticut. Hersteller von Schrotflinten.«
»Was ist ein Persuader ?«
»Eine Schrotflinte«, antwortete ich. »Die Mossberg M500 Persuader. Eine paramilitärische Waffe.«
»XX schickt die Persuader irgendwohin. Zweihundert Stück mit einem Rechnungswert von hundertzwanzigtausend Dollar. Im Prinzip als Gegenleistung für etwas, das BB erhält.«
»Import-Export«, sagte ich. »So funktioniert das.«
»Aber die Preise stimmen nicht überein«, meinte sie. »Die bei BB eingehende Lieferung hat einen Rechnungswert von hundertdreißigtausend Dollar. Also erzielt XX einen Gewinn von zehntausend.«
»Die Magie des Kapitalismus«, sagte ich.
»Nein, Augenblick, hier steht noch etwas. Damit geht die Rechnung auf. Zweihundert Persuader von Mossberg – und als Ausgleich ein zusätzlicher Bonusartikel.«
»Welcher Art?«, fragte ich.
»Das steht hier nicht. Was könnte zehn Riesen wert sein?«
»Das ist mir schnuppe«, wiederholte ich.
Sie blätterte weiter in den Unterlagen.
»Keast und Maden«, sagte sie. »Wo haben wir diese Namen gesehen?«
»Am benachbarten Gebäude«, erwiderte ich. »Das ist der Partyservice.«
»Er hat ihnen einen Auftrag erteilt«, sagte Duffy. »Sie liefern heute
Weitere Kostenlose Bücher