Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
geträumt, weiterzufahren, immer weiter, bis Eilat, bis in die Wüste Sinai, aber die Diskussion, die nun von neuem anhob, ließ das Träumen nicht zu. Ich weiß nicht, wie ich es schaffte, daß Joschi mir schließlich fast glaubte. Nein, ich weiß es doch. Ich erzählte ihm von den alten Chinesen, die fest davon überzeugt waren, daß es jeden Menschen dreimal gibt, oder, anders gesagt, jeder hat zwei Doppelgänger. Auch du, Joschi, irgendwo. Vielleicht in Kalifornien. Vielleicht in Wien. Irgendwo auf dieser Welt laufen zwei Männer rum, die so aussehen wie du. Aber nicht dasselbe tun. Und auch nicht denselben Namen haben. Womöglich war es das, was ihn fast akzeptieren ließ, daß ich nicht Klaus Kinski war; aber was er definitiv nicht akzeptierte, war Klaus Kinskis Tod, und so flackerte naturgemäß das Mißtrauen immer wieder auf, auch nach der Stadtautobahn.
Wir fuhren noch durch ein paar verschlafene Viertel, dann belebte es sich, und wir waren da. Der Rezeptionist meines Hotels hatte mir einen guten Tip gegeben. Vor der Diskothek standen viele schöne Israelinnen, und wer die Welt kennt, weiß, was das heißt. Israel hat DEFINITIV die schönsten Frauen. O. k., der Rezeptionist hätte mir auch sagen können, daß die Diskothek am anderen Ende der Stadt ist und die Taxifahrt einiges kostet. So hundert Dollar (Nachttarif). Aber ich rechnete sie ohnehin auf Spesen ab, so what. «Bye-bye, Klaus», sagte Joschi zum Abschied, und der Rest des Abends verlief normal. Also wie immer. Als ich die Diskothek wieder verließ, fragte ich den Türsteher nach einem Taxi. Um wohin zu fahren? Zum Hilton. «Dafür brauchst du kein Taxi, Mann, das ist hundert Meter die Straße runter.»
Man wird verstehen, daß ich jetzt erst mal ziemlich sauer war. Und dann ziemlich beschämt. Letztlich aber bewunderte ich Joschi. Er hatte mich genial reingelegt. Das war eine Weltklassenummer. Ohne sie hätte ich ihn mit Sicherheit sehr bald gefragt, wie weit es eigentlich noch bis zu dieser Scheißdiskothek ist. Ich bin nicht doof. Ich bin nicht reiseunerfahren. Und ich bin nicht Klaus Kinski. Ich sehe nicht mal aus wie Klaus Kinski. Aber ich bin so eitel wie Klaus Kinski. Klar, Eitelkeit ist blöde. Und Eitelkeit ist auch eine Schwäche. Weil leicht zu manipulieren. Doch: niemand ist eitel ohne Grund.
Wenn es weh tut, schlag zurück
(Bangkok)
E in Dorf im Norden, früh am Morgen. Ich sitze in einer Hütte mit dem Rücken an der Wand. Mai Lin fragt mich, ob ich Schlangen zum Frühstück mag. Ich verneine das. Über meinem Kopf hängt ein kleiner Sack. Ich habe ihn vorher nicht wahrgenommen und sehe ihn erst, als Mai Lin ihn vom Nagel nimmt und öffnet. Vier oder fünf Schlangen sind darin. Ihre Brüder haben sie in der Nacht mit Steinschleudern erledigt. Jede ist so etwa einen Meter lang. Mai Lin beginnt, sie aufzuschlitzen. Und als sie mit den Schlangen fertig ist, holt sie die tote Ratte aus dem Sack. Ich verlasse sofort die Hütte.
Wenn du Thai-Boxen verstehen willst, dann mußt du dahin reisen, wo sie Ratten essen, hatte man mir gesagt. Da kommt es her. Mai Lins Eltern und Geschwister sind landlose Bauern, wie sechzig Prozent der Bevölkerung in den nordöstlichen Provinzen Thailands. Sie leben von gelegentlichen, wahnwitzig schlecht bezahlten Saisonarbeiten und dem, was sie fangen. Traditionell gibt es für diese Menschen, außer der immer wieder versprochenen und nie durchgeführten großen Landreform, nur eine Möglichkeit, das zu ändern: nach Bangkok zu gehen. «Die Armen verkaufen ihre Körper», sagt ein siamesisches Sprichwort. Die Frauen als Huren, die Männer als Muay Thai.
Die Voraussetzungen dafür erklärt der Reisbauer Tongdee, der im Nachbardorf eine Boxschule sein eigen nennt, seitdem der Dorfoberste die achthundert Baht für den Sandsack gestiftet hat. Trainiert wird auf nacktem Lehmboden. Der Reisbauer sagt, ein Boxer brauche: 1. Kraft, 2. Schnelligkeit, 3. einen guten Lehrer und 4. Gehorsam gegenüber dem Lehrer. Und was er den Dorfkindern als erstes lehrt, geht so: «Wenn es weh tut, zeig nicht, daß du Schmerzen hast – und schlag zurück.»
Bangkok, Lumpini-Stadion, am nächsten Abend. Hexenkessel, Abteilung Südostasien. Zweitausend Zuschauer, hohe Wetten, alle brüllen. Thais sind irgendwann mal ausgewanderte Südchinesen. Und alle Chinesen sind dem Glücksspiel und der Wettsucht verfallen. Die Fingerzeichen, mit denen sie sich verständigen, kann ich nicht entschlüsseln, aber die ganze Halle
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