Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
fuchtelt mit den Händen, während im Ring zwei Muay Thai der 150-Pfund-Gewichtsklasse aufeinander losgehen. Die Regeln: Beißen, Unterleibsattacken und Kopfstöße sind verboten; ansonsten sind sämtliche Boxtechniken erlaubt, Handrückenschläge, Tritte, Ellbogen- und Kniestöße dürfen zum Kopf, Körper und zu den Beinen ausgeführt werden. Die Tritte und Ellbogenstöße sind am K.o.-effektivsten, die meisten Punkte bringt der Krokodilschwanz-Schlag. Ein sehr schwieriger und deshalb selten ausgeführter Tritt, bei dem das Schienbein im Nacken des Gegners explodiert. Jeder Treffer wird von der Menge mit einem Kampfschrei honoriert, der so tief aus dem Bauch kommt, daß er sich wie aggressives Stöhnen anhört.
Dazu spielt eine zehnköpfige Gruppe auf Trommeln und Blasinstrumenten. Der Sound der Flöten bewirkt auf der Stelle Trance, die Trommeln sind in etwa so schnell wie Technobeat. Nach diesem Rhythmus fallen die Schläge. Denn das ist das Prinzip. Wenn es weh tut, schlag zurück, hatte der Reisbauer gesagt. Jede blitzschnelle Attacke wird mit einer Gegenattacke beantwortet; während eines Schlagabtauschs drischt jeder Kämpfer gut ein dutzendmal auf den anderen ein, dann schnappen sie nach Luft, hüpfen ein bißchen auf der Stelle und explodieren ein weiteres Mal. Von zehn Schlägen führen sie sieben mit dem Schienbein aus. Das Schienbein ist der Hammer im Muay Thai, leider ist es auch der schmerzempfindlichste Teil des Beins. Früher, als es noch keine Sandsäcke gab, haben sie ihren Schienbeinen an Bananenstauden die Pingeligkeit abtrainiert, daß es die ganz Harten auch an Eisenstangen tun, wird immer wieder erzählt, aber ich kenne keinen, der es gesehen hat oder gar fotografiert. Doch der Unterschied zwischen Eisen und Knochen ist in diesem Ring ohnehin kaum auszumachen.
Ich sitze in der ersten Reihe, und die erste Reihe ist so nah dran, daß man sein Bier am Rand des Ringes abstellen kann. Das tun auch alle, und alle rauchen, und keinen scheint die Dusche aus Schweiß und Blut zu stören, wenn sich der Kampf in seiner Ecke abspielt oder, besser, abspult. Uralte Bewegungsabläufe. Die burmesischen Mönche, die den Kampf im 15. Jahrhundert entwickelten, und die siamesischen Könige, die ihn für ihre Soldaten perfektionierten, sind längst tot. Aber Muay Thai lebt. Muay Thai ist ein unsterbliches Wesen. Denen, die sich ihm opfern, schenkt es ohne Ende Schmerzen, aber auch eine gewisse Tödlichkeit. Ansonsten fallen mir an diesem Abend im Lumpini-Stadion noch drei Dinge auf. Erstens: Die Kämpfer sehen dem Gegner nicht in die Augen, nicht auf die Fäuste und nicht auf die Beine, sondern auf die Bauchmuskeln, denn die Bauchmuskeln zucken vor jedem Schlag. Zweitens: Nicht weit von mir sitzen drei Touristinnen aus dem Westen. Alle drei mit dem gleichen Gesichtsausdruck. Versunken und doch erregt. Drittens: Nachdem die nunmehr beide blutenden Muay Thai fünf Runden lang wie Tollwutkranke aufeinander eingehämmert haben, fällt nach dem Schlußgong der Sieger auf die Knie, um dem Verlierer die Füße zu küssen.
Bangkok, am Nachmittag, die goldenen Buddhastatuen eines großen Tempels ragen in den Himmel. In direkter Nachbarschaft zu den Experten der Gewaltlosigkeit liegt der Aumanun-Boxstall, einer der größten und berühmtestesten des Landes. Er hat zahllose Champs hervorgebracht. Fünf sind es zur Zeit. Hier trainieren an die dreißig Kämpfer jeder Altersstufe und Gewichtsklasse, es gibt mehrere Trainer und zwei Cheftrainer. Unter den Boxern sind auch zwei Japaner, doch sie werden, wie alle ausländischen Kämpfer, von den Thais nicht ernst genommen. Der weltweite Boom des Muay Thai eröffnet den thailändischen Boxern zwar internationale Karrieren, aber umgekehrt kommt hier keiner weit. Denn das ist das Leben der Muay Thai. Jeder in diesem Boxstall trainiert seit seinem achten Lebensjahr sechs Stunden pro Tag. Kein Alkohol. Keine Drogen. Sie essen im Boxstall, sie schlafen im Boxstall, ihn zu verlassen, egal ob am Tag oder in der Nacht, ist verboten. Also auch kein Sex. Ausnahme: Nach jedem Kampf dürfen sie für vier Tage nach Hause.
Mit dem Geld sieht es so aus: Kampf- und Siegprämien bis fünftausend Baht gehen zu hundert Prozent an den Boxer, von jeder Summe zwischen fünf- und zehntausend Baht bekommt der Boxstall tausend, und ab zehntausend Baht wird halbe-halbe gemacht. Mit dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr ist in der Regel Schluß. Dann haben die Boxer kaputte Knochen und was gespart,
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