Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
Vom Netzwerk:
lieben und beschützen würde.
    Ratanapol Sor Vorapin ist das beste Beispiel dafür, was einem extrem guten Boxer in einem extrem schlechten Boxstall passieren kann. Er hat fünfzig Muay-Thai-Kämpfe gewonnen, bevor ihn eine Knieverletzung dazu zwang, auf das westliche Boxen umzusteigen. Er wurde auf Anhieb IBF-Weltmeister im Federgewicht und konnte den Titel fünf Jahre lang verteidigen. Ratanapol kämpfte in Miami und Las Vegas, in Thailand kannte ihn jedes Kind. Sechs Millionen Baht hat der Besitzer seines Boxstalls an ihm verdient. Er selbst hat davon rund fünf Prozent gesehen. Und als er nach fünf Jahren seinen Titel verlor, weil man ihn vor dem Kampf von 57 Kilo auf 46,5 Kilo runtergehungert hatte und er im Ring so schwach war, daß sein südamerikanischer Herausforderer glaubte, gegen einen Kranken anzutreten, hat der Besitzer seines Boxstalls ihn fertiggemacht. Erst hat er ihn geschlagen, und dann hat er ihn ein Jahr nicht kämpfen lassen. Das heißt: ein Jahr kein Geld. Und als Ratanapol am Ende den Boxstall gegen den Willen seines Besitzers verließ, glaubte der Boß den Gesichtsverlust nur durch einen Auftragsmord wiederherstellen zu können. «Aber weil ich in meinem Leben viel Gutes getan habe», sagt der Nudelsuppenmann, «kam das Gute schließlich zu mir zurück.» In Form seines Beschützers (der Godfather, der die Hände über ihn hält, ist ein großer Boxfan) und in Form einer Nudelsuppenverkäuferin namens Naam Phon. Das heißt «Regenwasser». Sie arbeitete an einem Stand in der Nähe seines alten Boxstalls. Er hat sich in sie verliebt, weil sie ein so schönes Gesicht hat und so helle Haut, aber er ist schüchtern, und er hat ein Jahr und zwei Monate lang jeden Tag bei ihr Nudeln gegessen, bevor er seine Gefühle offenbarte. Inzwischen haben sie zwei Kinder und einen eigenen Stand und ein Einkommen von rund eintausendfünfhundert Baht täglich.
    Thais lächeln immer, auch wenn sie sturzunglücklich sind, aber das Lächeln von Ratanapol war echt. Was für eine Karriere. Auch er kommt vom Dorf und kennt den Geschmack von Ratten, auch er ist den Weg der Schmerzen gegangen und hat für fünfzig Baht seinen ersten Boxkampf gemacht. Dann ist er ein berühmter Champ geworden. Und dann ein berühmter Verlierer. Und dann ein glücklicher Mann. Gute Frau, gute Söhne, gute Arbeit. «Nudelsuppen sind ehrenvoll», sagt der Ex-Muay-Thai.

Under the Sherry Moon
    (Andalusien)
    D ie Traurigkeit ist wie eine Gitarrensaite, dazu bestimmt, die Liebe unsterblich zu machen. Die Ehre ist dafür da, der Saite Spannung zu verschaffen, und ansonsten ist nur noch zu sagen, daß der Katholizismus der Andalusier nicht ganz koscher ist. Sie glauben, Gott habe die Pferde nach seinem Antlitz geschaffen. Was dagegen stimmt, ist, daß die Pferde den Flamenco inspirieren. Man hört sie galoppieren, wenn der alte Zigeuner spielt. Sein Lied hat folgenden Inhalt:
    Ein junger, schöner Landarbeiter verliebt sich in ein junges, schönes Mädchen. Sie will ihn nicht, weil er ein Bauer ist. Er geht fort und reitet mit den Desperados, verliert ein Auge und ein Bein und kommt nach langen Jahren narbenübersät in sein Dorf zurück. Beide sind jetzt steinalt. Er erkennt sie sofort. Sie ihn nicht. Denn kaum war er damals verschwunden, hatte sie in ihrem Herzen etwas gefunden, das geschlafen hatte und dann zwar den Rest ihres Lebens nach dem jungen, schönen Landarbeiter schrie, aber nicht nach dem alten Mann, der nun vor ihr stand.
    Olé!
    Flamenco ist die Seide, mit der man zerrissene Herzen näht. Vor zwölf Jahren bin ich hier schon einmal diesbezüglich in Behandlung gewesen. Ich bin zurück und trinke Sherry, und was jetzt? Ich habe ein Problem: Ich habe einen Auftrag, und es ist Vollmond, und das kann nicht gutgehen. Jerez de la Frontera an der Südküste Spaniens ist auch in den Zeiten, in denen keine Feste gefeiert werden, eine besoffene Stadt, denn sie gilt als Quelle des Sherrys, hier wird er gemacht, hier wird er getrunken, hier wird er über Hemden geschüttet. Ich rede von meinen Tischnachbarn. Alles gestandene Zigeuner, plus Zigeunerinnen. Nie zuvor ist so wichtig gewesen, was einst ein Freund mir riet: Sieh nicht nach den Frauen der anderen.
    Der alte Sänger läßt das Singen sein. Ich lade ihn auf ein Glas Tio Pepe ein. Das gehört sich so. Cantatores und Guitarreros werden in Jerez mit Alkohol entlohnt. Er nimmt die schwarze Sonnenbrille ab. Er ist nicht blind, wie ich angenommen hatte. Auf meine Frage, ob er nur mit

Weitere Kostenlose Bücher