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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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liebsten hätte ich ihn am Ende umarmt. Statt dessen gab ich ihm nur die Hand, aber er nahm meine mit beiden Händen und drückte sie lang. Darüber dachte ich nach. Nicht nur ein paar Stunden, nicht nur an diesem Tag. Bis heute kann ich nicht verstehen, wie das zusammenpaßt. Wie kann ein so wunderbarer alter Herr verantwortlich sein für alles, was ich in seinem Land gesehen habe? Zwei Antworten hätte ich: Entweder ich bin leichtgläubig, leicht zu manipulieren und leicht zu verarschen. Oder er wird verarscht. Denn über den drei Kasten im Gesellschaftssystem von Nordkorea – der loyalen, der schwankenden und der der feindlich gesinnten Personen – gibt es noch eine: das Militär. Es ist ein Staat im Staat, und die Militärs gebärden sich wie die eigentlichen Machthaber. In dieser Woche wurden wir unterwegs mehrfach von Soldaten gestoppt, und jedesmal war es dasselbe: Unsere Reisebegleiter, denen andere nordkoreanische Zivilisten immer und sofort gehorchten, wurden von ihnen zusammengeschrien. Nicht von einem General, nicht von einem Offizier. Es waren einfache Soldaten, die unsere loyalen Parteimitglieder niederbrüllten, weil wir mal an einem falschen Platz gehalten hatten oder in eine falsche Straße hineingefahren waren, und die ließen sich das ziemlich demütig gefallen. Vielleicht dachten sie an die südkoreanische Touristin, die vor ein paar Wochen erschossen wurde, weil sie etwas abseits von ihrem Hotel in einen falschen Weg eingebogen ist. Das Militär macht in Nordkorea, was es will. Von daher war es wirklich nicht ganz ungefährlich, was wir am letzten Abend taten.
    Sieben Tage lang konnten wir keinen, aber wirklich keinen Schritt ohne unsere vier Reiseführer machen, die im Grunde Reiseverhinderer waren. Sie blieben immer dicht bei uns. Nicht ganz so dicht, also rund zwanzig, dreißig Meter entfernt, folgten uns dazu noch drei Geheimdienstler. Wir sollten nicht sehen, was wir wollten, und nicht hören, was wir wollten, sie verhinderten jedes freie Gespräch mit den Menschen. Das war nicht leicht für sie, denn wir versuchten ständig auszubrechen – und jeder von uns in eine andere Richtung. Am Ende der Woche waren wir genervt und müde davon, aber sie auch. Am letzten Spätnachmittag hingen sie ziemlich fertig in den Sesseln des Hotel-Foyers herum und freuten sich auf unsere Abreise. Einen Moment lang schienen sie uns nicht zu beobachten, und der Fotograf und ich nutzten die Chance. Auf leisen, schnellen Sohlen schlichen wir uns aus dem Hotel und waren ENDLICH allein auf der Straße. Wir gingen sie einfach geradeaus, etwa zwanzig Minuten. Bisher hatten wir immer nur dieselben drei, vier gut ausgebauten Straßen gesehen, mit rechts und links respektabler Platte und stalinistischen Monumenten. Jetzt sahen wir Zerfall und bewohnte Ruinen. Die Menschen, die uns entgegenkamen, waren viel schlechter angezogen als alle, die wir zuvor auf den erlaubten Wegen und in den Gebäuden gesehen hatten, in die sie uns führten. Schlechter angezogen, schlechter gelaunt. Das Lachen war weg. Menschen mit grauem Blick. Auf diesen Straßen war keine Freude, kein Sex, kein Flirt, keine Farbe, keine Kreativität, kein Esprit, keine Verheißung, auch keine Verführung, kein Hoffen und kein Versagen, im Grunde: kein Leben. Und wie reagierten sie auf uns? Nur ein Beispiel. Wir kamen um eine Ecke, und da war ein Fahrradfahrer, etwa fünf Meter vor uns. Sobald er uns sah, fiel er vor Schreck um. Zwei weitere Fahrradfahrer fuhren in ihn hinein und fielen auch hin. Das war die Reaktion auf uns.
    Unsere Freiheit, oder die Illusion unserer Freiheit, währte zwanzig Minuten. Dann stand wie aus dem Nichts materialisiert unser Oberbewacher vor uns und sagte: «Oh, was für ein Zufall! Ich habe gerade meine Familie hier besucht. Ich leiste euch Gesellschaft.» Und das war’s. Vielleicht nur eines noch. Ein bißchen später sagte einer der anderen Bewacher zu mir: «He, wir machen das nur, um euch zu beschützen. Ihr habt keine Ahnung, was DIE mit euch machen können.»

Gold im Amazonas
    (Brasilien)
    D er Hafen bestand im wesentlichen aus malerischem Schlamm, einem Anleger mit Bar, ein paar kleinen Billardtischen und ein paar Leuten, die auf den Billardtischen Armdrücken machten, und alle sprachen außer Portugiesisch höchstens noch ein bißchen Indianisch. Ich lehnte an einer Bretterwand, trank ein Bier und fühlte mich gleich wohl. Die Boote, die auf dem schwarzen Wasser wie schlafend schaukelten, erinnerten mich an

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