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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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und vor etwa sieben Monaten kamen die Goldsucher und setzten in Sachen Scheißbauen noch einen drauf. Das können sie wirklich gut.
    Ich sprach mit vielen in São Gabriel, und alle hatten denselben Traum. Sie kamen von überall aus Brasilien, investierten ihr bißchen Geld in Siebe, Werkzeuge, Macheten, Gummistiefel und Nahrungsmittel, denn im Wald und auf dem Berg gibt es nichts zu essen, es sei denn, man schießt es von den Bäumen. Und wenn sie nach zwei, drei Monaten aus dem Camp in die Stadt zurückkehrten, hatten sie zwei, drei Kilo Gold bei sich. Bis hierher gingen ihre Träume mit der Wirklichkeit noch konform, dann nicht mehr. Denn die zweite Traumhälfte handelt von ihrer Reise zurück nach Hause und von dem, was sie sich dort kaufen wollten. Ein Taxi, einen Kiosk, einen kleinen Laden, etwas Land, etwas Zukunft, eine Chance, aber die Monate im Wald und im Camp hatten sie a) dermaßen wild und b) dermaßen hungrig gemacht, daß sie ihr Gold in den Bars und Bordellen von São Gabriel innerhalb weniger Tage verfeierten. Und wenn sie ausgenüchtert waren, gingen sie zurück in den Wald. Der Lebensstil der Goldsucher veränderte die früher doch recht langweilige Missionars- und Händlerstadt ruck, zuck in ein nettes kleines Sodom und Gomorrha, und das war der Stand der Dinge, als ich mit Jim Beam und ein paar neuen Bekannten in einer großen Bar am Fluß zusammensaß. Die Bar war ein Rundbau, mit offenen Seiten. Und mein Blick konnte entweder über den Fluß schweifen, über seine schwarzen Kanus und silbernen Stromschnellen bis zu den Regenwald-Bergen im Nebel des anderen Ufers, er konnte sich aber auch von diesem Anblick losreißen, um am Tisch in ein Paar blaue Augen zu sehen, die so kalt wie das Eis in meinem Whiskey waren.
    Er nannte sich Rico, hieß also eigentlich Frederico, aber noch eigentlicher hörte er auf Friedrich, weil seine Nazi-Eltern kurz vor Kriegsende nach Brasilien entkamen. Sie hatten Farmen im Süden, aber Rico wollte da nie mitmachen. Rico wollte fliegen. Und hat es geschafft. Er ist ein begehrter Kokain-Pilot geworden, weil er, was in der Branche selten ist, einen Flugschein für die 747 hat. Er fliegt die großen Transporte der kolumbianischen Mafia auf der Miami-Route. In São Gabriel war Rico aus Hobbygründen. Einmal im Jahr suchte er auf dem Pico da Neblina, nein, nicht nach Gold, sondern nach Diamanten. Das war Ricos Geschichte. Ob sie stimmt, weiß ich nicht, aber wie Rico rüberkam, könnte sie wahr sein: groß, massiv, etwa Mitte Fünfzig, schulterlange blonde Haare, und diese stahlblauen Augen in seinem Whiskey-verschlampten Gesicht waren nicht nur eiskalt, sie waren auch hochintelligent. Rico hatte Humor, und aus irgendeinem Grund mochte er mich. Außerdem saßen mit zu Tisch ein Ex-Major der brasilianischen Armee und seine Leibwächter. Der Ex-Major trank sich in den Feierabend. Er hatte an diesem Tag bereits einen Mann angeschossen und dann seinen Leibwächter den Rest machen lassen. Mord wollte das hier niemand nennen. Das war eine Hinrichtung, strikt nach dem Goldsucher-Gesetzbuch. Das dünnste Gesetzbuch der Welt, es hat nur einen Paragraphen: «Du sollst nicht stehlen.» Und nur eine Strafe: Wer bestohlen wird, darf den Dieb töten, und ist er selbst dazu nicht in der Lage, dürfen es seine Freunde für ihn tun. Der Ex-Major besaß flußabwärts vier große Goldsucher-Flöße, für sie hatte er an diesem Morgen an einer schwimmenden Tankstelle riesige Mengen Benzin gekauft, und als er später feststellen mußte, daß sein Benzin im Verhältnis 50   :   50 mit Wasser gepanscht worden war, ist er sofort wieder zurückgefahren und hat den Tankwart umgelegt. Aber das Thema war langsam durchgekaut, inzwischen beschäftigten sich alle mit meinen Reiseplänen. Ob ich denn wirklich den Weg zum Pico gehen wolle. Ob ich wisse, was ich tue. Nein, sagte ich, das wisse ich meistens nicht, bisher sei es allerdings auf diese Art immer ganz gut gegangen.
    «Aber nur, weil du noch nie auf diesem Weg gewesen bist», sagte Rico. «Da gibt es Jaguare, mein Freund, schwarze und gefleckte, und weil die schon ’ne Menge Goldsucher gekostet haben, sind es leidenschaftliche Menschenfresser geworden. Du darfst nur in einer großen Gruppe gehen, und du darfst nie den Anschluß verlieren, sonst greifen sie an. Sie greifen auch zwei Menschen an, manchmal sogar drei, und weißt du, wie das ist, wenn dich ein Jaguar anspringt?»
    «Das ist, als ob jemand eine laufende Kettensäge auf dich wirft»,

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