Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
jeder, der über Land reist, erklären muß, warum er das tut. Den Nordkoreanern ist nicht nur das Verlassen ihres Staates unter Androhung von Folter und öffentlicher Hinrichtung verboten, sondern auch das Verlassen ihres Heimatbezirks. Sie können nicht mal eben von A nach B reisen, so wie wir von Berlin nach Hamburg oder von Freiburg nach München, sie brauchen Sondergenehmigungen für jeden Schritt, der sie weg von ihrer Stadt, weg von ihrem Dorf führt. Der Grund dafür ist derselbe wie für das Verbot von Handys. Es soll in Nordkorea nicht so etwas passieren wie in der DDR. Dort haben Telefonketten im ganzen Land darüber informiert, wo das Volk auf die Straße ging. Und alle strömten hin, um «Wir sind das Volk!» zu skandieren. Wie soll das in Korea funktionieren? Kein Telefon, keine Reisemöglichkeiten, keine Meinungsfreiheit, nichts. Statt dessen totale Kontrolle, totale Gängelung, totale Lügen.
Ein für uns fast lustiges Beispiel für die Lügen, die man hier erzählt: der Besuch beim toten und trotzdem «ewigen Führer» Kim Il-sung. Sie haben seinen ehemaligen Regierungssitz zum Mausoleum umfunktioniert. Vier Säle. Im ersten steht die überlebensgroße Statue Kims vor einer blauen, fast spirituell strahlenden Wand. In Vierer- und Sechserreihen werden die Besucher herangeführt, um einen kurzen Moment die Göttlichkeit des verstorbenen Diktators zu spüren. Im zweiten Saal sind Steinreliefs von weinenden Arbeitern, Bauern und Soldaten zu sehen. Beim Eintritt bekamen wir ein kleines Tonband in die Hand gedrückt, das wir uns ans Ohr halten sollten. Auf deutsch wurden wir so darüber informiert, daß Kim Il-sung auf der ganzen Welt als «Sonne der Menschheit» geliebt und verehrt wurde und daß die ganze Welt in Tränen badete, als er starb. Im Durchgang zum dritten Saal war es plötzlich sehr kalt und windig. Sechs Luftdüsen auf beiden Seiten pusteten uns jedes Staubkörnchen von Haut, Haar und Kleidung. Und da lag er, seit Jahren am Verwesen gehindert, in einem gläsernen, luftdicht versiegelten Sarkophag. Wieder mußte man sich in Vierer- oder Sechserreihen davor formieren. Die Nordkoreaner, aber auch die vietnamesischen Generäle vor uns verbeugten sich tief vor der «ewigen Leiche». Jetzt waren wir dran. Und verbeugten uns nicht, keinen Millimeter. Nicht mal ein ganz kleines bißchen mit dem Kopf nickte ich, und auch nicht der Fotograf. Im vierten und letzten Saal dann waren die Wände mit den Orden Kim Il-sungs tapeziert und mit den Fotos der Politiker, die ihm die Orden geschenkt haben. Gaddafi, Castro, Honecker, das ganze Gesocks, nur einen saarländischen Orden und das Foto von Lafontaine habe ich nicht gesehen. Aber vielleicht habe ich auch nicht richtig hingeguckt. Egal, am nächsten Tag konnten wir in der Parteizeitung «Pjöngjang Times» nachlesen, daß sich die deutsche Delegation vor dem «ewigen Führer» in großer Ehrfurcht und Ergriffenheit tief und lang verbeugt hat. Beweise für das Gegenteil haben wir allerdings nicht, weil Fotografieren verboten war.
Wer regiert denn nun das Land? Der «ewige Führer» sicherlich nicht, auch sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-il, «geliebter Führer» genannt, wurde seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Krank? Schwerkrank? Tot? Nein, keineswegs, sagt die Partei, Kim erholt sich nur von einer Operation, und zwar gut. Außerhalb Nordkoreas glaubt dies natürlich kein Mensch. Regiert jetzt also der bisher zweitmächtigste Mann im Staat, ein Mann, der fast den gleichen Namen wie sein Führer trägt? Der Besuch beim Vorsitzenden des Präsidiums der Obersten Volksversammlung Nordkoreas, Kim Yong-nam, wurde jedenfalls für mich zum überraschendsten Moment meiner gesamten Nordkoreareise. Denn der zweitmächtigste Politiker dieses paranoiden, verlogenen, extrem brutalen, totalitären, menschenverachtenden Staates wirkte auf mich wie der netteste, herzlichste und liebenswerteste Achtzigjährige, den ich seit langem getroffen habe. Auch was er sagte, war eigentlich wunderbar. Ja, man rede mit Südkorea, und man komme sich näher, ja, man führe auch mit dem Rest der Welt einen fruchtbaren Dialog, ja, man werde Lösungen für alle Probleme finden, selbst für die atomare Frage, ja, ja, ja, alles werde gut. Die Audienz bei ihm dauerte etwa eine Stunde, und mit jeder Minute mochte ich ihn mehr. Seine fröhlichen, sanften Augen, sein lachendes Gesicht, sein entspanntes, gleichzeitig selbstsicher und bescheidenes Auftreten entwaffneten mich total. Am
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