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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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«Fitzcarraldo», und der Vollmond heizte mit seinem physikalisch kalten, aber traumheißen Licht meine gute Laune weiter an. Zwei, drei Bier später drückte eines dieser Boote die Flußdampfer, zwischen denen es gelegen hatte, sanft, aber bestimmt zur Seite, ich stand an Deck, hörte den Motor stampfen und sah den Lichtern von Manaus nach. Es brauchte kein Ahnen, kein Fühlen, kein Schwingen seelischer Schicksalssaiten, um zu begreifen, daß ein Abenteuer vor mir lag. Dafür reichte ein Blick auf die Reiseroute. Rund achthundert Kilometer den Rio Negro flußaufwärts und irgendwo im Dreiländereck von Brasilien, Kolumbien und Venezuela steigen wir wieder aus. Juan kannte sich da glücklicherweise ein wenig aus.
    Juan hatte einen Vollbart, wilde schwarze Locken und war der Fotograf. «Die Region ist so groß wie Deutschland», sagte er, «aber es leben nur zweiundzwanzigtausend Menschen in ihr. Kein Politiker sieht Gründe, für zweiundzwanzigtausend Menschen irgend etwas zu tun. Die Infrastruktur ist hundert Jahre hinter der ersten Welt zurück, und es gibt keine Gesetze. Hast du eine Pistole dabei?»
    «Nein.»
    «Ich auch nicht.»
    Keine Waffe, keine Angst. Alles, was gefährlich war, schien weit weg. Der Fluß war so breit wie ein See, und der Wald wirkte wie eine ferne, dunkle Wand, aber manchmal, wenn Inseln den Rio Negro in mehrere Wasserläufe teilten, wurde der Fluß so schmal wie ein Kanal, und wir konnten die Schlingpflanzen, Lianen und Wurzeln am Ufer sehen. Im Videorecorder des Dampfers sorgte Rambo für klare Verhältnisse im Dschungel, es gab eine kleine Bar und ansonsten nicht viel zu berichten, denn wir machten es wie alle anderen Passagiere (Händler, Missionare, Goldsucher, Indianer, Halbindianer) und baumelten die Sache in unseren Hängematten aus. Man gewöhnt sich schnell an Hängematten, und wenn man sich daran gewöhnt hat, will man nicht mehr raus.
     
    Am vierten Tag unserer Reise trafen wir dann den ersten Mann mit einer frischen Schußverletzung. Bisher hatten wir nur bei kleinen Dörfern und Missionsstationen angelegt und blieben dort auch nur so lange, wie es braucht, Säcke mit schwarzen Bohnen und Reis oder kistenweise Bier loszuwerden, aber das hier war ein großes Goldsuchercamp. Sie arbeiteten auf den Flößen und wohnten in Hütten am Fluß, die sie mit Blättern oder Zeltplanen abgedeckt hatten. Am Ufer dümpelten die zu Bars oder Marketender-Läden umfunktionierten Boote. Bezahlt wurde mit Gold. Ein paar Beispiele:
     
    Rolle Novo (Toilettenpapier) – 0,1 Gramm Gold.
    Sempo Livre (Tampons) – 1 Gramm Gold.
    Omo, die kleine Packung – 0,4 Gramm Gold.
    Omo, die große Packung – 0,8 Gramm Gold.
    Aspirin – 1 Gramm Gold.
    Einwegrasierer – 1 Gramm Gold.
    «Picote» – 1 Gramm Gold.
    «All night» – 1,5 Gramm Gold.
    «Picote» ist die schnelle Nummer, «All night» die lange, und damit sind wir schon bei den Preisen des Bordell-Flußdampfers, der in Sichtweite des Camps ankerte, obwohl die Geschichte der frischen Schußverletzung noch immer nicht erzählt ist. Ein Marketender hatte mit seinem schwimmenden Laden hier vor Tagen angelegt und einem Goldsucher das Tau zugeworfen, damit er es an einem Baumstamm festmacht. Der Goldsucher rief, der Händler könne ihn am Arsch lecken. Auf die Frage, ob es auch der Arsch seiner Freundin sein dürfe, hat der Goldsucher sofort geschossen.
    «Wo ist der Mann jetzt?» fragte ich.
    «Im Fluß», sagte der Händler.
    Ich saß inzwischen mit einer Cola in einem weißen Plastikstuhl und genoß die Aussicht. Das Licht der Nachmittagssonne lag über dem Rio Negro, dem Abfall am Ufer und den kleinen schwarzen Schweinen zwischen den Hütten. Fast alle Männer im Camp trugen kurze Hosen und lange Bärte, und fast alle waren auf geschmeidige Art muskulös und, wie der Marketender sagte, bewaffnet.
    Die Tage auf dem Flußdampfer, der nun ohne uns weiterfuhr, waren eine Zeit der Entschleunigung, die Zeit, die nun anbrach, bescherte uns das Gegenteil. Der Marketender hatte uns ein Motorboot mit Skipper vermietet, der uns zu den Flößen brachte, wann immer wir wollten. Der Mann wurde Feuerkopf genannt, denn ein häßlicher roter Ausschlag entstellte sein Gesicht, aber auch sein Wesen hatte etwas Feuriges, wenn er unter dem Einfluß von Marihuana, Pasta basica (unveredeltes Kokain) und Antarctica (brasilianisches Bier) am Außenbordmotor rumfummelte. Da ich unter demselben Einfluß stand, wußte ich, daß er die Wellen Funken schlagen sah.

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