Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
wurde unserem Fotografen erst mal erklärt, was er fotografieren durfte. Im Prinzip alles, nur folgende Ausnahmen seien zu beachten: keine Baustellen oder einstürzende Neubauten, um sicherzugehen eigentlich gar keine Häuser und Straßen sowie keine militärischen Anlagen, also auf gar keinen Fall Soldaten oder Polizisten, und, um sicherzugehen, eigentlich überhaupt keine Menschen. Was er dagegen fotografieren konnte, waren alle Denkmäler des «ewigen Führers» (Vater Kim Il-sung) und des «geliebten Führers» (Sohn Kim Jong-il), aber diese auch nicht von hinten oder von der Seite und auch nicht im Ausschnitt, sondern immer nur von vorn und von oben bis unten. Und, ach ja, natürlich durfte er auch nicht aus dem fahrenden Wagen fotografieren. Unser Fotograf hielt sich nicht daran, was dazu führte, daß sie immer schneller fuhren, weil sie glaubten, daß ab 110 km/h niemand mehr vernünftige Bilder machen kann. Irrtum. Mit einer Blende von 2,8, der Belichtungszeit einer zweitausendfünfhundertstel Sekunde und einer Lichtempfindlichkeit des Films von achthundert ASA geht das schon. Aber Mitziehen nicht vergessen.
Mir machten sie es auch nicht leicht. Ich durfte mit niemandem sprechen, denn der Kontakt mit Ausländern könnte die Menschen verwirren. Weil ihnen Handys, Internet, freie Medien und das Verlassen des Landes verboten sind, wissen sie nicht, wie die Welt außerhalb von Nordkorea ist. Der einzige Fernsehsender zeigt hauptsächlich Kriegsfilme, in denen Japaner und Amerikaner massakriert werden, und berichtet man doch mal von etwas anderem, zum Beispiel von internationalen Sportereignissen wie den Olympischen Spielen, werden alle Wettkämpfe ausgelassen, in denen Sportler feindlicher Nationen gewinnen. Nach nordkoreanischer Nachrichtenlage hat also seit fünfzig Jahren kein US-Sprinter und kein japanischer Karatekämpfer oder Sportschütze mehr irgendwas gewonnen. Um dieses Weltbild nicht zu stören, durfte ich mit niemandem sprechen außer denen, die sie mir vorstellten, und diese Menschen hatten merkwürdige Blicke.
Woran erinnern sie mich? An eine Sekte. Augen sind die Fenster zur Seele, und ihre scheinen schwer manipuliert. Sobald sie über Kim Il-sung reden, wird etwas angeknipst in ihrem Blick. Man kann es fast hören, wie sich der Schalter umlegt, bevor ihre Pupillen zu glänzen beginnen und die Zunge Märchen erzählt. Die Zunge der Dame zum Beispiel, die uns durch den «großen Studienpalast des Volkes» führt.
Das Gebäude ist wirklich groß, aber es hat keine hunderttausend Quadratmeter Grundfläche, wie sie stolz berichtet, und es hat auch keine Billion US-Dollar gekostet, es sei denn, sie haben es tausendmal aufgebaut und neunhundertneunundneunzigmal wieder abgerissen, aber das macht man selbst in Nordkorea nicht. Außerdem glaube ich ihr kein Wort, als sie von den Schriften des «ewigen Führers» schwärmt, die hier zum Studium ausliegen. Denn würde es stimmen, was sie sagt, könnte ich mir die Kugel geben. Ich gelte zu Hause als Vielschreiber, weil ich in acht Jahren acht Bücher veröffentlicht habe. Kim Il-sung dagegen soll zehntausendvierhundert Bücher verfaßt haben, und es wären noch hundertmal mehr gewesen, hätte er nicht auch anderes zu tun gehabt, wie zum Beispiel den Koreakrieg zu gewinnen, was ebenfalls nicht stimmt. Der Überfall auf Südkorea durch seine Truppen hat rund drei Millionen Tote unter der Zivilbevölkerung gefordert, und doch waren am Ende lediglich die alten Grenzen zwischen Nord und Süd zementiert.
Und was gibt es außer den Werken des «großen Führers» hier sonst noch zu lesen? Oh, sagt die Dame, sehr viel, denn Kim Il-sung hat auch alle Bücher, die ihm von befreundeten Staatenlenkern geschenkt wurden, an den Studienpalast des Volkes weitergegeben. Auch deutsche Bücher? Aber ja, und sofort präsentiert sie uns zwei Exemplare. Eins ist von Dr. Oetker («Wild»), und das andere trägt den Titel «Internet für Dummies».
Der Religionsunterricht ist hierzulande auch nicht ganz koscher. Christliche Missionare sollen nordkoreanischen Kindern die Nasen abgeschnitten und ihr Blut getrunken haben. Solche Gemälde sah ich im «Siegesmuseum für den Befreiungskrieg des Vaterlandes». Kinder, an Bäume gebunden, mit dem Messer des Missionars im Gesicht, gleichzeitig bissen sich die scharfen Hunde der Pater in ihren Beinen fest. Die Dame, die uns hier führte, trug Uniform, was das Tröstliche an der Geschichte ist. Uniformen stehen Nordkoreanerinnen
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