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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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zerknüllten Manuskripten, Notizbüchern, ungeöffneten Briefen, nicht gelesenen Verträgen und Männermagazinen dermaßen überhandgenommen, daß Hunter den Raum abschloß und mit seiner Schreibmaschine nach oben zog. Und im ganzen Haus waren Waffen. Alle nur erdenklichen Arten von Waffen: Steinschleudern, Messer, Schwerter, Speere und Bögen sowie Trommelrevolver, automatische Pistolen und ganze Sträuße von Gewehren. An lebenden Tieren gab es eine durchgeknallte, total paranoide Katze, der Hunter mal LSD ins Futter gemischt hatte und die davon nie wieder runtergekommen ist, und ein halbes Dutzend sehr großer Vögel in einem Käfig auf der Terrasse. Diese Vögel hatten für jede Gemütsäußerung einen hohen, schrillen Ton parat, der Gläser zerspringen lassen konnte. Aber sie schrien ja nicht immer. Es gab Ruhepausen.
    Hunter war prima drauf an diesem Abend. Er legte Wohlfühlmusik auf, Dylan, Cash, die Stones und solche Sachen, und er teilte am Kaminfeuer sein Bier, seinen Whiskey und sein Marihuana mit uns. Er ließ mich auch einmal von der Terrasse in die Nacht und die Berge schießen. Für mich war es das erste Mal. Ich empfand die kleine Explosion, den Rückschlag der Waffe und das, was die Kugel machte, als brutale Gewalt. Schießen gefiel mir nicht, aber ansonsten gefiel mir alles, und natürlich blieben wir diese Nacht und dann den nächsten Tag und die nächste Nacht und noch ein paar Tage und Nächte mehr in Hunters Haus, obwohl bereits am zweiten Abend die Atmosphäre umschlug, weil Hunter zu arbeiten und zu brüllen begann. «Was ist mit dem verfickten Feuer?» schrie er und warf das Kamingitter an die Wand. Dann nahm er die Plastikflasche mit dem Petroleum, spritzte gut einen halben Liter in die Flammen, griff sich noch mal das Kamingitter, um es an seinen alten Platz zurückzuschmeißen, schrie auf, weil er sich an dem glühendheißen Metall die Hände verbrannt hatte, und rannte hinaus. Als nächstes kam ein Beil geflogen.
    Das Problem war ein CIA-Agent namens Hoppe. Einer von Hunters treuesten Lesern. Er hatte angerufen und Terror gemacht. Es ging um George Bush senior, der damals Vizepräsident war. Hunter hatte ihn in seiner letzten Kolumne mit einem Mistkäfer verglichen, der Tag und Nacht nichts anderes im Sinn hat, als sich öffentlich in Scheiße zu suhlen. Der Vergleich war gemein und bodenständig genug, um von jedem verstanden zu werden. Aber Hunter hatte noch etwas hinzugefügt: Mistkäfer seien zum Tottreten da, und damit hatte er den Bogen überspannt. Hoppe sagte: «Hunter, das kannst du nicht machen. Du kannst nicht schreiben, daß Bush zu Tode getreten gehört. Das kann dich zehn Jahre kosten. Warum schreibst du nicht, er soll geteert und gefedert werden? Das wäre okay.» Hunter kapierte das nicht. «Ich würde lieber zu Tode getreten als geteert und gefedert werden», antwortete er. «Wo ist da der Unterschied?» Hoppe sagte, er wisse es auch nicht, aber so sei es nun einmal. «Also hör auf, den Leuten zu erzählen, daß sie den Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten zu Tode trampeln sollen, okay?»
    Nun sah Hunter für seine nächste Kolumne schwarz, in der er wieder auf Bush losgehen wollte. «Tottreten» hatte ihm die CIA verboten, «teeren und federn» war ihm zu schwach. Er suchte nach einem neuen Bild und fand es nicht, die Deadline rückte näher, alle naselang klingelte das Telefon, und der Redakteur des «San Francisco Examiner» war dran. Hunter warf jetzt nicht nur mit der Axt, sondern auch mit Aschenbechern, Gläsern, Stühlen, Brieföffnern und Kaffeemaschinen um sich. Das Feuer wurde wieder mit Petroleum begossen, der Whiskey floß, Jimi Hendrix kam auf den Plattenteller, gleichzeitig lief der Fernseher, nur zwei Meter von seinem Schreibtisch entfernt. Und plötzlich war Bush im Bild und verhöhnte wieder einmal grinsend alles, was gut, schön und wahr auf dieser Erde ist. «Amerika hat die Kraft, der ganzen Welt Frieden zu bringen», sagte der Ex-CIA-Boß, und genau das war der Moment, in dem Hunter zum letzten Mal in dieser Nacht zu brüllen anfing, in der Art eines Urschreis, und den schrieb er auf. Nichts mehr von tottreten, nichts mehr von teeren und federn. Hunter schrieb, daß Bush von einem Elch gefickt gehöre. Und das war’s. Wieder einmal hatte er es geschafft und eine Deadline niedergemacht, und die ersten Strahlen der Morgensonne glitzerten auf dem Schnee wie kosmisches Kokain.
    Apropos. Er kokste so viel, wie er trank, während er arbeitete, aber

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