Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
auf Marihuana verzichtete er dabei ganz. Ich schrieb nur auf Marihuana. Es gab noch einen Unterschied. Ich war viel schneller als er. Einen ganzen Abend und eine ganze Nacht für eine geniale, aber auch recht kurze Kolumne, das erschien mir einfach zu lang. «Angst und Schrecken in Las Vegas», sein großes Buch, hatte er in zwei Wochen runtergekloppt, aber das war fünfzehn Jahre her. Das hatte er jetzt nicht mehr drauf. Ich sah es, ich fühlte es, Hunter hatte seinen Zenit überschritten, kreativ ging’s bergab mit ihm. Ein Denkmal begann für mich vom Sockel zu rutschen, und ich nahm mir vor, es nicht wie er zu machen. Außerdem rief ich meinen Chefredakteur in Hamburg an. Er konnte es nicht fassen. Er hatte bereits bei unserem letzten Telefonat nicht fassen können, daß wir ein Interview von Hunter kriegen, und jetzt waren wir seit Tagen in seinem Haus, und der Chefredakteur flippte aus: «Ich glaub zwar, daß du es nicht schaffst, aber wenn du ihn jetzt noch dazu kriegst, für ‹Tempo› eine monatliche Kolumne über den US-Wahlkampf zu schreiben, bekommst du von mir alles, was du willst. ALLES!»
Als ich Hunter fragte, ob er es tun wolle, willigte er sofort ein. Allerdings unter der Bedingung, daß Mira für diese Kolumne seine zuständige Redakteurin sei. Mira war keine Redakteurin. Sie war Volontärin. Aber das war Hunter, mir und meinem Chefredakteur egal. Der Deal wurde gemacht, und wir hauten ab, was Hunter untröstlich zurückließ. Wäre es nach ihm gegangen, hätten wir noch den ganzen Monat, ja ein halbes Jahr bleiben können, aber ich wollte raus aus seinem Haus, und Mira wollte es auch. Unsere Gründe waren verschieden. Mir ging auf die Nerven, daß er permanent meine Freundin anbaggerte, sie fürchtete sich vor den fliegenden Äxten und Kamingittern. Zum Abschied organisierte Hunter uns noch den BMW eines Freundes, mit dem wir umsonst nach New York fahren konnten, eine Tankfüllung spendierte er auch.
Wieder zurück in Hamburg, geschah folgendes: Hunters erste Kolumne für «Tempo» kam und kam und kam nicht. Telefonat um Telefonat wurde nach Colorado geführt. Hunter sagte, er habe eine Schreibblockade und brauche dringend seine Redakteurin vor Ort. Wir sollten Mira zu ihm schicken, dann würde er auch die Kolumne schicken. Ich sagte zu Mira «nein», und Mira sagte zu ihm: «Er hat nein gesagt», und Hunter akzeptierte das. Die Kolumne kam auch ohne sie. Einen Monat später dasselbe Spiel. Schreibhemmungen, er brauche Mira in seinem Haus – er kriegt sie nicht und liefert trotzdem. Beim dritten Mal machte Hunter Ernst und schrieb nicht. Also setzte sich Mira in den Flieger. Sie hob am Vormittag in Hamburg ab, tief in der Nacht klingelte mein Telefon. Mira aus den Rocky Mountains. Ihre Stimme klang ängstlich, nein, panisch. Sie sagte, es gehe ihr schlecht und ich müsse ihr helfen. Überall in Hunters Haus würden riesige Spinnen krabbeln. Und ich wußte, wie sehr sie sich vor Spinnen fürchtete.
«Wo ist Hunter?» fragte ich.
«Der liegt in seinem Bett und stöhnt.»
Jetzt hörte ich ihn auch. Er stöhnte ziemlich laut. Ich holte dann Stück für Stück aus Mira heraus, was geschehen war. Hunter hatte sie an dem kleinen Flughafen von Aspen im Jeep erwartet. Mit Haschisch, Koks und einem Glas Champagner. Aber er hatte ihr nicht gesagt, daß er in den Champagner LSD geträufelt hatte, und so nahmen die Spinnen ihren Lauf. Arme Mira, mutterseelenallein hoch oben in den Rockies, mit einem Verrückten im Haus, das sie nicht verlassen konnte, ohne sich in den Bergen zu verirren oder vom Grizzly gefressen zu werden. «Hör zu», sagte ich, «wir machen jetzt folgendes: Wir atmen gemeinsam ganz tief ein und ganz langsam aus.» Dann praktizierten wir etwa zwei Stunden Atemübungen zusammen, und Mira kam zunehmend besser drauf, dafür ging es Hunter schlechter. «This goddam, bloody motherfucker!» schrie er aus dem Hintergrund, und Mira sagte, er meine mich damit.
Nachdem sie wieder wohlbehalten nach Hamburg zurückgekehrt war, lieferte Hunter zwar alle weiteren Kolumnen pünktlich und ohne Auflagen, trotzdem wollte sie nichts mehr von ihm wissen. Und nichts mehr von ihm lesen. So weit ging ich nicht. Für mich konnte Hunter einfach nur kein Vorbild mehr sein.
Ich hatte gewonnen.
Der Slibowitz-Contest
(Belgrad)
M ir gefällt Belgrad sehr gut. Ich weiß nur nicht, warum. Die Heimat aller Putzfrauen und Hausmeister ist weder schön noch gesund (freie Serben, freie Auspuffe), und besonders
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