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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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freundlich schauen die Serben auch nicht drein. Im ersten Moment. Im zweiten wird es besser, dann kommt meist der Slibowitz nach oben. Sie haben ihn immer unten versteckt. Unterm Tisch oder in der untersten Schublade. Sobald sich also ein Serbe bückt, reagiert die Umwelt hochbeglückt. Aber das beantwortet meine Frage nicht wirklich. Denn ich mag Schnaps nicht sonderlich. Auch nicht zum Frühstück, egal, wie gesund das ist. Ich putze mir lieber die Zähne. Darum habe ich noch welche. Außerdem greife ich traditionell eher zu Haschisch, wenn mir nach Drogen ist. Und das Thema ist hier besonders schlimm. Haschisch gilt als Droge des Erzfeindes, als Gift der Türken, als Alptraum des Orients. Über Jahrhunderte haben sich die serbischen Alkoholiker den Heeren der Kiffer entgegengeworfen, im Amselfeld zum Beispiel, womit ich aber schon wieder bei einem Thema bin, das man in Belgrad nicht offen diskutieren sollte. Was würden wir Deutschen denn sagen, höre ich sie fragen, wenn Bayern plötzlich nicht mehr zu uns gehörte? Na ja, ich als Norddeutscher könnte damit wahrscheinlich leben. Trotzdem: kein Wort in Belgrad über den Kosovo. Möglich dagegen sind inzwischen Gespräche über die EU. Man macht sich keine Freunde damit, aber man überlebt es. Und noch ein Tip: Die lustigste Anreise bietet der Zug. Und zwar von Wien aus. Warum? Damit ich endlich am Anfang der Geschichte bin.
    Ich hatte in Österreich zu tun, und als das erledigt war, kaufte ich die Fahrkarte nach Belgrad. Der Preis ist sensationell. Vierundsechzig Euro für satte zwölf Stunden Fahrt mit der serbischen Eisenbahn. Bis Budapest ging es relativ flott, und das ist auch gut so, denn auf dieser Teilstrecke nimmt man die «No Smoking»-Schilder noch ernst. Ab Budapest lockerte sich der Nichtraucherschutz ein wenig, und ab der serbischen Grenze kümmerte sich kein Schwein mehr darum. Die Schaffner rauchten, die Ober im Speisewagen rauchten, die Zöllner rauchten. Die schlechte Nachricht: Gleich nach der Grenze gab es einen Stromausfall, und wir blieben anderthalb Stunden stehen. Weil ohne Strom auch kein Kaffee gekocht werden konnte, griff nun jung und alt zu den Kaltgetränken. Noch hatte der Chef des Speisewagens nicht seine unterste Schublade geöffnet, noch tranken wir nur Bier. Trotzdem kamen wir in Stimmung, ich und die Serben hier. Ich war der einzige Tourist weit und breit. Alle Amerikaner und Japaner hatte es in Budapest aus dem Zug gerissen, als wäre es der «last exit» vor dem Ende der Welt. Ich will mal im Bild bleiben: Am Ende der Welt scheint Deutsch die zweite Amtssprache zu sein. Ein Serbe aus Hannover (Autohaus), eine Serbin aus St. Gallen (Graphikdesign), drei Serben vom Hamburger Kiez (im weitesten Sinne Gastronomie) sowie je eine serbische Schönheit aus Wien und Berlin (auch Gastronomie) warteten mit mir und den Herren vom Zoll auf die Rückkehr der Elektrizität. Oder, alternativ, darauf, daß der Speisewagen-Chef endlich Erbarmen zeigte und nach unten griff. Nachdem er es getan hatte und der Slibowitz auf der Theke stand, schien es allen egal zu sein, ob die Reise jemals weitergehen würde. Was mich dabei ein bißchen nervös machte, waren a) die Zöllner, die im Zug blieben, und b) daß nun alle ständig auf Toilette mußten. Denn dort hatte ich ein Stück Haschisch deponiert, weil ich es beim Grenzübertritt ungern in meiner Tasche wissen wollte. Es lag, dem flüchtigen Blick entzogen, zwischen Zugwand und Toilettenschüssel und wurde jetzt hoffentlich nicht vollgepißt. Wenig später war mir auch das egal. Der Schnaps hatte alle Probleme weggewischt. Die Einsamkeit des Reisenden war ebenfalls kein Thema mehr. Mit feuchten Augen, in denen das Herz übergelaufen war, lagen wir uns in den Armen. Und jeder wollte gute Ratschläge geben. Ich riet ihnen, beim Song Contest den besten zu wählen und nicht nur eine befreundete Nation, und sie beschworen mich, am Bahnhof von Belgrad auf keinen Fall ein «wildes», sondern ein reguläres Taxi zum Hotel zu nehmen, denn die wilden sind Beschiß. Woran man den Unterschied zwischen einem wilden und einem seriösen Taxi erkennt, wußten sie aber leider nicht. Beide Daseinsformen der privaten Personenbeförderung haben Taxischilder auf dem Dach und sehen auch ansonsten gleich aus. Meine neuen Freunde überlegten. Schließlich fanden sie doch noch ein Merkmal, durch das sich die Gauner unter den Chauffeuren ausmachen lassen: Alle Taxis, die direkt am Bahnhof stehen und auf die Reisenden warten,

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