Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
damit bin ich wieder bei meinen Gedanken zu seiner Vorbildfunktion. Wenn der Guru im Nichts endet, warum sollte man ihm dann folgen?
Als mich die Nachricht von seinem Tod erreichte, fiel ich nur deshalb nicht aus allen Wolken, weil ich aus denen bereits viele Jahre zuvor gefallen war. 1986, oben in den Rocky Mountains. Ich wartete mit Mira in der «Woody Creek Tavern» auf ihn. Mira war gut drauf, ich nicht. Ich war nervös. Wird mir eine gute Frage einfallen? Werde ich einen zusammenhängenden Satz formulieren können? Kriege ich überhaupt ein Wort heraus, oder falle ich gleich auf die Knie? «Hunter gibt euch zwanzig Minuten», hatte seine Agentin gesagt. Das war verflucht wenig Zeit, um locker zu werden, und trotzdem eine Sensation. Er gab eigentlich keine Interviews. Er schoß auf Journalisten. Und Fans schlug er die Fresse blau. Das heißt, ich riskierte erst eine Kugel und dann Schläge. Und Mira war eine Frau, mit der man überall reinkam, aber nicht überall wieder raus. Also, Hunter kommt, sieht sie, und die zwanzig Minuten waren kein Thema mehr. Nachdem ich ihm mit der Körpersprache eines Stück Holzes ein paar Fragen zur Mission des New Journalism gestellt hatte, brach er das Gespräch ab und lud uns für den Abend in sein Haus ein. Ich war ziemlich von den Socken, Mira nicht. Sie hatte es sofort gemerkt und auch sofort beschlossen, das Spiel mitzumachen. Sie war halt eine gute Frau.
Zu diesem Zeitpunkt wußten wir noch nicht, daß Mira Hunters Freundin ähnelte. Sie hatte auch einen ähnlichen Namen: Maria. Und Hunter wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob es bereits die Ex-Maria war, denn er kam nicht mehr an sie heran. Sie wohnte bei ihren Eltern in Arizona, und ihr Vater ließ sie nicht mehr aus dem Haus, nachdem er in einer von Hunters Kolumnen gelesen hatte, wie seine Tochter von dem Autor in ein schmieriges Studio geschleppt worden war, um ihr dort ein schmieriges Tattoo auf den Po stechen zu lassen. Ich habe diese Kolumne nie gelesen, aber ich kann mir vorstellen, mit welcher Detailverliebtheit sie geschrieben wurde. Marias Vater schwor also, nach Colorado zu fahren und den Perversen abzuknallen, das war der Stand der Dinge, als wir in Hunters Jeep saßen. Hunter hatte Maria seit sechs Wochen nicht gesehen, und Mira sah wie Maria aus.
Es schneite, und wir fuhren auf einer Nebenstraße weiter die Rockies rauf. Weil es bereits zu dunkeln begann, fragte Hunter, ob wir nicht über Nacht bei ihm bleiben wollten. Er würde uns zwar auch gerne in ein paar Stunden wieder durch den Schnee den Berg hinunterfahren und dann die zwanzig Kilometer bis zu unserem Hotel nach Aspen, aber bis morgen bei ihm zu bleiben sei doch viel praktischer, zumal er ein Gästezimmer habe. Während sich die Scheinwerfer durch eine beständig einsamer werdende Wald- und Gebirgslandschaft fraßen, konnte ich mein Glück nicht fassen, obschon – ich war’s eigentlich gewohnt. Mit Mira lief es immer wie geschmiert, außerdem saß ich bei ihr fest im Sattel. Wir waren fast zwei Monate in den Staaten unterwegs gewesen, bevor wir Hunter trafen, und es war so etwas wie eine Verlobungsreise. Last but not least war sie Anfang Zwanzig, ich Mitte Dreißig und Hunter fünfzig. Einen Altersunterschied von vierzehn Jahren steckte Mira nicht nur weg, das gefiel ihr, aber ein dreißig Jahre älterer Mann ging bei ihr nicht. Ich bin in dieser Konstellation die goldene Mitte, dachte ich damals. Heute denke ich hin und wieder anders darüber, denn heute bin ich in dem Alter, in dem Hunter war, als wir ihn trafen. Heute verstehe ich seine Zuversicht.
Sein Haus stand völlig frei in Gottes Gebirge. Drum herum ausschließlich Wald, schroffe Felsen, Gipfel und die Sterne. Wir kamen rein und fühlten uns wohl. Es empfing uns ein Fünfzigquadratmeterraum, voll mit Papierdrachen, Zimmerpalmen, vergilbten Landkarten, milchigen Globen, Pfauenfedern, Steinen, Büchern, Magazinen, Whiskeyflaschen, Aschenbechern und den Überresten toter Tiere, ich sah einen Hirschkopf, einen Büffelschädel, sieben ausgestopfte Schlangen, zwei ausgestopfte Eulen und das Gebiß eines großen Hais. Es gab einen Kamin in diesem Raum. Das Zimmer daneben wirkte nicht ganz so exotisch, aber auch nicht normal. Es vermittelte den Eindruck, daß hier irgend jemand einmal pro Woche einen Container mit Altpapier entlud. Also Hunters Arbeitszimmer. Eigentlich war es die Küche, und das offizielle Arbeitszimmer war im Keller, aber dort hatte zwei Jahre zuvor das Chaos aus
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