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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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sind böse, und alle Taxis, die man von der Straße heranwinken muß, sind gut. Aber ohnehin sei es am allerbesten, zu Fuß zu gehen.
     
    Das war vor drei Tagen. Inzwischen bin ich in meinem Hotel angekommen. Es heißt «Prag» und hat drei Sterne, und die Doppelzimmer kosten siebzig Euro pro Nacht. Auch wer allein anreist, sollte unbedingt ein Doppel nehmen, denn aus Gründen, über die ich hier nicht spekulieren will, sind nur die Betten in den Einzelzimmern knüppelhart. Und dann gibt es im «Prag» noch ein für mich nicht erklärbares Phänomen: In der Hotelbar darf man nicht an der Theke stehen. Man muß an den Tischen sitzen. Auf Nachfrage wird das deutsche Wort «Vorschrift» genannt. Was mir nicht wirklich weiterhilft. Wer hat das vorgeschrieben? Und warum? Weil einer, der im Stehen trinkt, schneller weglaufen kann, ohne zu bezahlen? Es gibt dort zwei Kellnerinnen. Eine mit schwarzen und eine mit blonden Locken. Sie benehmen sich wie guter Bulle, böser Bulle. Die Blonde läßt mir alles durchgehen, aber die Schwarze muß ich erst in Grund und Boden tippen. Das hohe Trinkgeld und mein artiges Betragen verschaffen mir schließlich Sonderrechte in der Bar vom «Prag»: Ich darf im Stehen trinken. Aber nur ich.
    Am Abend fährt mich die Serbin aus St. Gallen, die ich im Zug kennengelernt habe, zum Bluesclub «Fox». In einem Fiat, der eigentlich für den real existierenden Straßenverkehr konstruiert worden ist und nicht für Spielereien in Extremsituationen. Serben sind emotionale Menschen. Und reden sehr, sehr viel, eigentlich ununterbrochen. Dabei wechselt Maya die Fahrbahnen in etwa so oft und unverhofft wie die Themen. Politik, Musik, Liebe, Alter und: Schnaps. Sie hat dreißig Liter Selbstgebrannten im Kofferraum. Nicht für den heutigen Abend, sondern für den morgigen, nach dem Eurovision Song Contest. In irgendwelchen Katakomben wollen sie entweder den Sieg des serbischen Liedes feiern oder das Gegenteil beweinen. So oder so. Auf alle Fälle braucht es dafür dreißig Liter Slibowitz. Einmal verpaßt Maya eine Ausfahrt von der Stadtautobahn und fährt daraufhin ein gutes Stück im Rückwärtsgang, übrigens ohne Licht, obwohl es bereits stockfinster ist.
     
    Mir gefällt Belgrad sehr, aber ich weiß noch immer nicht, warum. Am Zauber der historischen Bausubstanz kann es nicht liegen. Mit dem haben die Truppen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg Schluß gemacht. Was sie übersahen, wurde im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen in Schutt und Asche gebombt, und was danach immer noch stand, geriet 1999 bei den Luftangriffen der Nato in Brand. Kriegsruinen gehören zum Bild der Stadt, Plattenbau erschreckt die Seele des sensiblen Touristen, und die modernen Einkaufsstraßen im Zentrum der Stadt sehen leider auch nicht anders aus als die Boulevards der Marken woanders auf der Welt; das Merkwürdige ist nur, daß ich woanders auf solchen Straßen nicht flanieren mag, hier dagegen schon. Ich kann gar nicht genug davon bekommen, rumzugehen oder rumzustehen, um die geheimnisvolle Attraktion, was sag ich, die Faszination Belgrads zu ergründen. Was ist hier los? Was macht mich hier so glücklich?
    Das Mienenspiel der Serben sicherlich nicht. Meine Freundin, selbst Serbin, aber durch fünfzehn Jahre Berlin an unsere Überschätzung des Lächelns gewöhnt, beruhigt mich. Die Panzerknacker-Gesichter und der provozierende Blick seien kein Zeichen von Unfreundlichkeit, sondern von Unsicherheit. Und wenn Serben unsicher sind, wollen sie seriös wirken. Lächeln gilt als unseriös in Belgrad, das ist ein interessanter Aspekt; doch sobald du ihnen signalisierst, daß du genauso unseriös bist wie sie, lächeln sie plötzlich zurück. Aber wie. Dann öffnet sich die serbische Seele in, ich möchte fast sagen: halsbrecherischer Weise. Sie haben so viel Liebe in sich, daß ich nicht mehr weiß, was stimmt. Wo sind die Monster, die Kriegsverbrecher, die Albanen-Schlächter, Bluträcher, Faschisten und Nationalisten? Haben wir uns alle geirrt? Sie sind gar nicht grausam, sondern tun nur so? Weil sie unsicher sind? Und warum unsicher? Warum so schüchtern? Sie haben doch allen Grund, selbstbewußt zu sein. Sie sind ein großes Volk. Nicht ganz so groß wie ihre slawischen Brüder und Schwestern aus Dalmatien und Montenegro, die die Größten in Europa sind, aber immerhin so groß, daß ein Mensch von ein Meter fünfundachtzig – wie ich – zu den meisten Männern aufschauen muß. Und auch zu vielen Frauen. Die Serben

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