Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
wollte. Ich war schneller als jedes Säugetier auf diesem Planeten und auch schneller als die Vögel, deren Drachenflügel Schatten auf mich warfen. Ich beglückwünschte mich zu meinen Wünschen. Die Dimension zu wechseln bringt mehr als ein Vermögen. Sobald ich wieder groß wäre, würde ich Stoff für Jahre haben, dachte ich und winkte frohgemut den Grizzly-Eichhörnchen zu.
Super Gegend, super Auto, was noch fehlte, lag am Wegesrand. Zuerst erschrak ich, weil sie so echt aussah und in etwa meine Größe hatte, doch der Schrecken verwandelte sich in Euphorie, als ich den Wagen neben ihr ausrollen ließ. Wer immer sie verloren hatte, verstand etwas von Puppen. Eine Superpuppe mit Echthaar. Blond wie die Sonne, gebaut wie Aphrodite, ein Traumgesicht. Warum war es mir so vertraut? Traumfrau im weißen Sommerkleid. Tot? Nein, schlafend. Verzaubert. Wie Dornröschen aus dem Märchenreich. Der Prinz in mir wurde wach. Ich stieg aus und kniete mich neben sie. Ich vergaß, wie gefährlich das war. Ich vergaß, daß ohne den Wagen jeder Rabe, sogar jeder Spatz eine tödliche Gefahr für mich war, und die Tigerkatzen, die mit leisen Tatzen durchs Unterholz schlichen, vergaß ich auch, ich vergaß die Kinder, die zuerst mit mir spielen und mich dann einsperren, vielleicht sogar, wer weiß, foltern würden, ich vergaß jede Gefahr, auch die größte. Ich vergaß MICH. Ich ließ meine Hand über ihren Körper gleiten und küßte ihre Lippen, und als ich spürte, wie kalt und trocken sie waren, wünschte ich mir, daß Blut in ihnen pulsiert, damit sie warm und feucht würden, ein Wunder, das sofort geschah, und damit war der letzte Wunsch vertan. Ich realisierte nicht gleich den Ernst der Lage, erst als sie meinen Kuß erwiderte, wurde mir schlagartig klar, was ich getan hatte. Die Konsequenz: für immer winzig. Aber nicht für immer Sprit. Wo tankt man ein Spielzeugauto auf? Und womit bezahlt man? Mit fünfunddreißigmal so kleinen Euros? Und wie sollte es weitergehen? Was würden wir essen, wo würden wir schlafen, zu welchem Zahnarzt gehen? Ich ließ meinen Kopf neben den ihren sinken, und als ich vor Sorge aufstöhnte, fühlte ich plötzlich ihre Hände in meinem Haar und hörte ihre Stimme. Eine wunderbar vertraute Stimme. «Wach auf, Liebster», sagte sie.
Langsam, wie auf einer Wolke, kam ich zurück und öffnete die Augen. Ich sah in ein etwas bekümmertes Gesicht. Das sich entspannte, als ich zu lächeln begann. Wir lagen im Gras unter einem knallblauen Sommerhimmel, der Wagen parkte im Schatten eines nahen Baums, und was mich am meisten entzückte: Nicht nur ihr Strohhut und ihre Sonnenbrille, sondern auch die Blumen, die auf dieser Wiese wuchsen, waren wieder deutlich kleiner als ich.
«Hast du schlecht geträumt?» fragte sie.
«Nein», antwortete ich.
Hart. Härter. Hunter
(Rocky Mountains)
K ann ein Mensch, der Selbstmord begangen hat, Vorbild für mich sein? Falls Hunter sich die Kugel gab, weil er unheilbar krank gewesen ist, wäre das keine Frage. Aber wenn er es einfach nicht mehr geschafft hat, glücklich zu werden oder zumindest die Balance von Glück und Leid zu halten, wenn seine Art zu leben nicht die Weisheit erlangt hat, die das Alter akzeptiert, wenn seine Seele zu schwach war, den schwächer werdenden Körper zu tragen, und sein Geist zu sehr von Drogen durchsiebt, um noch etwas Vernünftiges zu schreiben, wenn er gegen Windmühlen kämpfte, wenn er den Verlust der Potenz mit dem Verlust der Männlichkeit gleichsetzte, wenn er keine Nacht mehr nüchtern einschlief, wenn er den Mann verachtete, den er im Spiegel sah, wenn also einer der größten Schreiber des vergangenen Jahrhunderts und einer der wildesten Journalisten aller Zeiten sich das Gehirn wegschoß, weil er als Verlierer zu enden drohte, lautet die Antwort auf meine Frage eindeutig: nein. Hunter S. Thompson kann kein Vorbild für mich sein.
Es gibt noch eine andere Theorie. Er war ein Waffennarr, er war ein Spieler, er war ein Trinker, er war es gewohnt, mit Johnnie Walker über Grenzen zu gehen. Und er war schwer Kick-süchtig. Er brauchte täglich einen. Einem Adrenalin-Junkie wie ihm wäre es durchaus zuzutrauen, daß er jede Nacht auf seiner Terrasse Russisches Roulette gespielt hat. Dann wäre es kein Selbstmord gewesen, sondern ein Unfall. Und ich würde hier eine andere Frage sehen: Wäre der Unterschied zwischen lebensmüde und lebensverachtend wirklich so groß, um jetzt das «Nein» zu Hunters Vorbildfunktion zu
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