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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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ist. Die Abgase und der Uringestank vermischen sich mit dem Geruch von einer Million Räucherstäbchen und zahllosen Gewürzen, mit dem Duft von Mangos, Orangen und den Parfums, die unter den Saris schwitzen. Was zur Hölle kann man von so einem Land lernen? Daß innere und äußere Welten nicht ineinanderfließen, sondern so weit voneinander entfernt sind wie die Sonne vom Mond? Daß die Experten im Paradies sich auf Erden dilettantisch gebärden? Daß Spiritualität weh tut? Schwer zu sagen.
    Der siebzigjährige Dr.   Vagish Shastri heiterte mich dann wieder auf, gleichzeitig war ich von Madonna enttäuscht. Vor mir saß auf einem Podest der klassische Scheinheilige mit überschwappender Eitelkeit. Der Raum tapeziert mit «Ich und …»-Fotos (Ich und der Popstar, ich und der indische Ministerpräsident), der Mund voll des Eigenlobs. Er habe schon im Alter von fünf Jahren seine früheren Reinkarnationen erkannt und auch die Reinkarnationen seiner Lieben. Seine Mutter sei im vergangenen Leben sein Schwiegersohn gewesen, sein Vater sein Schüler, und auch seine Brüder hätten in zurückliegenden Wiedergeburten seine Nähe gesucht, denn er sei seit drei Leben als Guru auf Erden. Okkulte Kräfte? Jede Menge. So habe er sich zum Beispiel mit sechs Jahren einmal vierzehn Hemden übergezogen, und alle hätten geglaubt, es sei nur eins gewesen.
    Eine Woche ist Madonna bei ihm geblieben. Ich hielt es keine Stunde aus. Über Astrologie wollte er eh nicht sprechen, weil wir ihm erzählt hatten, daß wir den Professor treffen würden. Was wollt ihr dann bei mir? «Das hat mein Vater auch gefragt», sagte Ditu, und plötzlich entspann sich der einzige Dialog von Interesse. Es stellte sich heraus, daß Dr.   Vagish Shastri den Großvater meines Übersetzers kannte, was ihn ohne Übergang kleinlaut werden ließ. «Ein wirklich berühmter Mann», sagte er in dem Tonfall, in dem B-Promis von A-Promis sprechen.
    Am Abend las ich dann im Hotel ein bißchen in dem Buch, das er mir verkauft hatte. Seine Biographie. Ich kam nicht über das Vorwort hinaus, in Wahrheit nicht über den ersten Absatz. Verfaßt von seiner Frau: «Mein verehrter Mann Dr.   Vagish Shastri ist mein Gott, Führer und Philosoph. Dank meiner guten Taten in früheren Leben darf ich ihm jetzt so nah sein.» Ich schlief mit dem beruhigenden Gedanken ein, daß ich Madonnas Musik immer noch liebe, aber ihre spirituellen Ambitionen nicht mehr ernst zu nehmen brauche. Shanti Ashtangi (Friede, Friede, achtfach Friede).
     
    Professor Ram Chandra Pandey dagegen erfüllte alle in ihn gesetzten Erwartungen. Ein entspannter dreiundfünfzigjähriger Gelehrter mit weißen Haaren, der nicht sonderlich interessiert an dem Interview war, aber wußte, daß so was manchmal sein muß. Seine gute Laune kann damit zu tun gehabt haben, daß er kein Freelancer wie Dr.   Shastri ist, sondern ein Beamter, den der Staat bis ans Ende seiner Tage bezahlt. Oder auch damit, daß die Sonne schien. Man weiß es nicht.
    Die Astrologen sind im Erdgeschoß der Sanskrit-Fakultät untergebracht, der Professor lehrt im einzigen Raum, der zum Garten hin liegt. Professor Ram Chandra Pandey saß ebenfalls auf einem Podest, aber es war so groß, daß es auch seinen Schülern Platz bot. Zwischen ihm und den Studenten stand ein kleines Pult. Alle Studenten waren sympathisch. Unterrichtsstoff heute: Wie man Ellipsen berechnet. Doch daraus wurde nichts. Als der Professor erfuhr, wer Ditus Großvater war, wechselte er in den Fachbereich Heldenverehrung. Er war wirklich von den Socken und sagte seinen Studenten, von den vier großen Astrologielehrern Varanasis sei Ditus Großvater der größte gewesen. Von dem hätten sie alle gelernt. Seine bisher ambivalenten Reaktionen auf unsere Fragen verloren sich nun schnell in einem Klima der Kooperation. Was ist der Unterschied zwischen der indischen und der westlichen Astrologie? Die indische ist ein bißchen älter und ein bißchen genauer. Grundsätzlich sind sie gleich. Kann die Astrologie hundertprozentig das Schicksal eines Menschen erkennen und voraussagen? Ja, natürlich. Voraussetzung sind genaue Angaben über Geburtsort und Geburtsstunde, auf die Minute genau. Sind diese Daten exakt, gibt’s keinen Zweifel an der Unfehlbarkeit der Astrologie. Unfehlbar bis ins Kleingedruckte. Gibt es die Möglichkeit, über die Sterne hinauszuwachsen und sein Schicksal selbst zu bestimmen? Oder seinem Schicksal auszuweichen? Der Professor sagte: «Nein.» Er sagte es

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