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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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zu abstrus ausgefallen. Dabei können die Inder diesbezüglich einiges vertragen. Sie haben nur durchgeknallte Antworten. Ich bat um Aufschub. Ich will die Sache in Ruhe überlegen und Ditu eine Mail schicken, wenn ich wieder in Wien bin. Bis dahin setze ich wie gewohnt auf Ganesha, den Gott mit dem Elefantenkopf. Er ist der Schutzpatron der Diebe, Dichter und Händler, was ihn zum idealen Gott für Journalisten macht, außerdem ist er der «Überwinder aller Schwierigkeiten» (auch nicht schlecht), und als «Hüter der Schwelle» bietet er Schutz vor Dämonen, er schützt uns sogar vor den Göttern. Aber schützt er uns auch vor der Astrologie?
    Ditu hatte gesagt, sein Vater habe ihm die Astrologie zwar nicht verboten, aber er habe sie ihm auszureden versucht, obwohl er selbst Astrologe sei. Und auch sein Großvater sei Astrologe gewesen, ein sehr guter, wie es heiße. «Vielleicht ein Generationenkonflikt zwischen Vater und Großvater», warf ich ein. «Ja», sagte Ditu, «vielleicht.»
    Ditus Vater zweifelt nicht an der Astrologie. Er hat auch nichts gegen sie. Er hat nur was dagegen, daß sein Sohn die Zukunft kennt. Es ändert die Zukunft nicht, aber nimmt die Spannung. Er hat auch was dagegen, die Vergangenheit zu kennen. «Mein Vater sagt, das verwirrt nur den Geist. Wenn du weißt, daß du im vorherigen Leben ein König warst, willst du in diesem Leben auch wieder König sein, obwohl dir etwas anderes bestimmt ist.» In diesem Leben ist es Ditu bestimmt, mein Übersetzer zu sein, und wir waren auf dem Weg zu Professor Ram Chandra Pandey, um ihn zu interviewen, aber was Ditu von seinem Vater erzählt hatte, gefiel mir so gut, daß ich auch ihn interviewen wollte. Genau das habe er seinen Vater gestern abend schon gefragt, sagte Ditu. Und? «Im Prinzip hat er nichts dagegen. Aber er meint, es sei überflüssig, denn wir würden ja heute den Professor treffen.» Niemand könne uns mehr erzählen als Professor Ram Chandra Pandey. Er sei der beste Astrologe in Varanasi.
     
    Professor Ram Chandra Pandey gehört zum Lehrkörper der Banaras Hindu University, die als einzige Hochschule der Welt Astrologie als Studienfach anbietet. Die Astrologen sind in der Sanskrit-Fakultät untergebracht. Jede Fakultät, von Kunst bis Wirtschaftswissenschaft, verfügt über ein eigenes Gebäude, und jedes dieser Gebäude erinnert an den Palast der Winde und hat einen weitläufigen Garten. Die Summe der Paläste und Gärten ergibt einen urbanen Park und ist der Traum von einem Indien, das nicht überbevölkert ist und keine Armut kennt. Nur Mittelstand und Wissenschaft. Die Universität hat rund fünfzehntausend Studenten, ein Straßennetz von siebzehn Kilometern Länge sowie einen Shiva-Tempel, den wir besuchten, nachdem wir erfahren hatten, daß der Professor uns versetzt hatte; nicht mit Absicht, wie sich am Telefon herausstellte, er entschuldigte sich mit seiner altersbedingten Vergeßlichkeit und bot einen Termin am nächsten Tag an, gleiche Zeit.
    Der Tempel. Sein heiligstes Relikt ist ein Lingam, ein Penis aus Stein, größer als der eines Elefanten, es soll der Penis des Gottes Shiva sein. Im Grunde glaubt auch der Hinduismus – wie das Christentum – nur an einen Gott, allerdings an einen unpersönlichen. Brahman ist etwas, das man schwer beschreiben kann, weil es keinen Anfang und kein Ende hat, kein Unten und kein Oben, keine Form, kein Gewicht, kein Gesicht, auch keine Farbe und keinen Klang. Es ist das Urmeer der Spiritualität, von den Buddhisten schlicht «Nichts» genannt. Doch gleich unter dem Nichts (in dem alles ist) siedelt der Hindu drei Verkörperungen des Göttlichen an: Brahma, den Kreativen, der die Welt liebt und ständig neu erschafft; Vishnu, den Verwalter, der sich für den Erhalt des Bestehenden stark macht; und Shiva, den Killer, der zerstört, was zerstört gehört. Aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, betet Indien hauptsächlich den göttlichen Killer an. Möge Shiva die Vergeßlichkeit des Professors zerstören.
    Plötzlich hörte ich Musik, himmlische Musik, aus dem oberen Stockwerk des Tempels. Ein blinder Sänger mit pockenvernarbtem Gesicht, wie sich herausstellte, von einem Tablaspieler begleitet. Ditu und ich lehnten eine Weile an den Marmorsäulen in der Nähe, dann nahmen wir Platz auf dem Marmorboden. Der ganze Tempel ist aus Marmor, es gab nichts anderes, auf das man sich setzen konnte. Kalt, aber erhaben, ein Material, das die Blicke nicht stolpern läßt, und mir schien,

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