Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
mit Heiterkeit. Ich hakte nach. Wenn zum Beispiel in meinem Horoskop steht, daß ich in Varanasi sterben werde, und ich deshalb nie mehr nach Varanasi zurückkehre, was dann? «Dann wird es Gründe geben, warum du nach Varanasi zurückkehren MUSST.» Wozu nützt uns dann die Astrologie? «Was?» Warum soll ich meine Zukunft kennen, wenn ich sie nicht ändern kann? Darauf sagte der Professor einen schönen Satz: «Wenn der Wetterbericht vorhersagt, daß es regnen wird, dann kannst du den Regen nicht ändern, aber du kannst einen Regenschirm mitnehmen.» Bei meiner letzten Frage, ob es auch in Varanasi eine Palmblattbibliothek gebe, mußte der Professor leider passen. Anzunehmen sei es, weil Varanasi so wichtig ist, aber man habe einfach lange nichts mehr davon gehört. Doch dann besann er sich. Besinnen ist vielleicht zuviel gesagt. Es war nur so ein Gedanke: «Frag doch mal deinen Vater danach», sagte er zu Ditu.
Das Haus, in dem Ditu lebt, steht nicht weit entfernt von dem Haus, in dem seinerzeit Madonna weilte. Sehr schmale Gassen, intimstes Indien, zwei Minuten bis zum Ganges. Der Raum, in den mich Ditu führte, war klein, sauber und trotz aller Bemühungen, ihn irgendwie wohnlich zu möblieren, asketisch. Es war der Raum von Ditus Vater, der uns ein bißchen warten ließ und mich überraschte, als er schließlich zur Tür hereinkam. Zweiundvierzig, schlank, edles Gesicht, schwarzer, gepflegter Vollbart. Ich hatte ihn mir älter vorgestellt. Blick und Kommunikation: schnurgerade. Er habe nichts dagegen, daß sein Sohn die Astrologie erlerne, sagte er auf meine Frage, er habe nur etwas dagegen, wenn es sein Beruf werde. Weil er es dann für Geld mache. Und das sei falsch. Sein Vater habe es nie für Geld gemacht, sondern immer nur, um zu helfen. Heute hätten alle nur Geld im Sinn. Lakshmi sei die Göttin des Geldes, Saraswati die Göttin der Weisheit und der spirituellen Kraft. Es sei nicht möglich, beide anzubeten. Er habe sich für Saraswati entschieden. Er arbeite bei der Post, um die Astrologie nicht gegen Geld betreiben zu müssen. Alles klar? Ja. Und was ist mit der Mathematik? Hat Astrologie wirklich nur mit exakten Daten und fehlerfreiem Rechnen zu tun? Ditus Vater sagte: nein. In den alten Zeiten, als Gott Rama auf der Erde gewesen sei, hätten die Yogis so viel Kraft gehabt, daß sie in ihren Meditationen Zukunft und Schicksal von Menschen sehen konnten. Erst als das Kali-Yuga, das Zeitalter der Dunkelheit, begann und keiner mehr Kraft gehabt habe, hätten sie mit dem Rechnen angefangen. Heute könne jeder Astrologe sein. Mit Kraft habe das nichts mehr zu tun.
Während Ditus Vater redete, veränderte sich Ditu in etwas, das im Gesicht zwei angeknipste Scheinwerfer hat. Er liebt ihn, er verehrt ihn, er ist stolz auf ihn. Er lernt. Sein Vater, der das bemerkte, lockerte auf. Ein guter Moment für die finale Frage: Weiß er was vom Palmblatthoroskop? Ditus Vater sagte, na klar. Und erzählte: «Ein extrem starker Yogi, Bhrigu genannt, wollte einmal herausfinden, welcher der drei großen Götter der beste ist. Zuerst ging er zu Shiva und war entsetzt, weil der Gott der Zerstörung kiffte. Dann ging er zu Krishna, hatte aber auch mit ihm Probleme, weil eine junge, halbnackte Frau beim Gott der Liebe war. Vishnu war der letzte. Und wieder sah der Yogi nicht, was er erwartet hatte: Der Erhalter und Bewahrer alles Seienden vernachlässigte seine Pflicht, weil er auf einer Riesenschlange schlief. Der Yogi, inzwischen wütend geworden, verlor die Contenance und trat gegen Vishnus Bein, um ihn aufzuwecken. Vishnu, der nicht geschlafen, sondern meditiert hatte, öffnete sofort die Augen. Der Yogi sah Besorgnis darin. ‹Armer Kerl›, sagte Vishnu. ‹Hast du jetzt Probleme mit deinem Fuß?› Er sagte das, weil sein Bein so hart wie Eisen war. Der Yogi schämte sich nun bis auf die Knochen, denn seine Dummheit wurde mit Güte beantwortet. Als Wiedergutmachung bot er an, das Palmblattmanuskript zu schreiben.»
Eine Geschichte, mit der ich leben kann. Ich lebe ja auch damit, daß Gott die Frau aus der Rippe des Mannes erschuf, Moses das Rote Meer teilte und Maria Sex mit dem Heiligen Geist hatte. In den Palmblättern stehe alles über eine Person, fuhr Ditus Vater fort. Palmblätter verrotten im Laufe der Jahrtausende natürlich, deshalb hätten Generationen von Mönchen die Texte auf Papier übertragen. Vor siebzig Jahren sei von dem zuständigen Kloster in limitierter Auflage ein Buch herausgegeben und an
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