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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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der mit ihr war, sah weder gefährlich noch vertrauenerweckend aus. Überall anders auf der Welt hätten wir gesagt: Sieh da, eine Ratte, aber wir waren auf Kuba, und das war ein Kubaner, und die Amerikaner hatten schuld. Er sagte, er sei der Bruder des häßlichen Mädchens, und Tom sagte, es sei Quatsch, um diese Zeit noch eine andere zu suchen, und weil er nicht warten konnte, bekam ich das nächste Mädchen, das aus der Dunkelheit zu uns kam, und die war schön. Verglichen mit der Häßlichen, war sie schön. Wir hatten sie auf der anderen Straßenseite gehen sehen, wie eine große schwarze Katze, die sofort zu schnurren beginnt. Es war das erste Mal, daß ich mit einem Mädchen auf der Mauer vom Malecón saß.
    «Woher kommst du?» fragte sie.
    «Aus Deutschland.»
    «Wie lange in Kuba?»
    «Zwei Stunden.»
    «Kann ich bei dir bleiben?»
    Sie hatte blauschwarzes, geglättetes Haar, das gut geschnitten war, und trug ein sehr kurzes, schwarzes Kleid aus einem das Sternenlicht reflektierenden Material, nur ihre Nase gefiel mir nicht. Aber mir gefiel, wie sie lachte, und mir gefiel, daß sie ihre Hand auf mein Bein legte. Das heißt, meinem Bein gefiel es. Meinem Kopf gefiel es nicht. Inzwischen war auch das frische Hemd, das ich im Hotel angezogen hatte, durchgeschwitzt, und ein viele Monate währender Reinigungsprozeß begann. Wegen ihrer Nase wich ich ihrer Frage mit einer Gegenfrage aus.
    «Nana», antwortete sie.
    Als wir den Rum hatten, sah die Welt vollständiger aus. Vogelnests Bruder hatte ihn geholt. Fünf Dollar für die Flasche, aber es war nicht mehr lang bis zum Morgengrauen, und kein Hotel-Roomservice hätte es besser gemacht. Die Wirkung von Rum ist, daß man sich vom Kopf abwärts entspannt. Nanas Haut wurde so blauschwarz wie ihr Haar und mein Herz so korrupt wie der Orient. «Es ist jetzt alles klar», sagte Tom. «Die Mädchen wollen zwanzig Dollar, und deine weiß, wo das Koks ist.»
    Ich habe immer die Kokserinnen bekommen und er die Engel, und ich habe gelernt, daß Engel eine Obsession für Teufel haben und umgekehrt, und wenn daraus ein Doppelpaar wird, hatten wir immer eine gute Chance auf die unendliche Acht, die unendliche Nacht, die unendliche Kommunikation.
    Wir gingen zu Nanas Freund. Es war nicht weit, aber man mußte aufpassen, daß man sich nicht die Knöchel brach, und die Häuser erschienen mir wie Ruinen aus der Zukunft. Irgendwo schrie eine Katze. Nana verschwand in einer Tür. Wir verschwanden hinterher.
    Wir befanden uns in einem großen, vielstöckigen kolonialen Haus, das nach der Revolution mit Holz, Blech und Pappe zu einem Labyrinth aus Bretterverschlägen gemacht worden war. Wir folgten Nana durch einen schmalen Gang, dann eine schmale Treppe hoch und wieder durch einen schmalen Gang, und ihr Freund, der uns am Ende des Weges empfing, gehörte ganz klar zu den zehn dünnsten Männern, die ich je gesehen hatte. Vogelnests Bruder war schon dünn, aber dieses «dünn» hier hatte eine andere Dimension.
    «Dos turistas de Alemania», sagte Nana.
    Das Inventar seines Zimmers bestand im wesentlichen aus einem kleinen, niedrigen Tisch, einem Stuhl, einem Schaukelstuhl und einem Regal, auf dem ein alter Plattenspieler stand sowie die Jungfrau Maria und ein Jesus am Kreuz. Es gab einen Balkon zur Straße und ein Waschbecken. Ich setzte mich in den Schaukelstuhl und machte Konversation mit dem Gastgeber, der noch etwas Gras hatte, und wir hatten noch etwas Rum, und die Mädchen wollten plötzlich Bier, und Tom wollte, daß drogenmäßig endlich Klartext auf den Tisch kommt, und dann lagen die ersten sechs lilienweißen Linien zwischen der Jungfrau Maria und dem Jesus am Plastikkreuz, und wir putzten sie weg.
    Meine Seele war mit einem Schlag im Hier und Jetzt. Draußen wurde es hell, die Vögel knipsten an, und der Dünne legte eine Reggaeplatte auf, die eierte und kratzte, aber die Luftfeuchtigkeit nahm Bob Marleys Stimme wie warmes Wasser auf, und so kam «No Woman No Cry» zu uns geschwommen, und der junge Morgen sah sechs glückliche Menschen. Mit «No Woman No Cry» ist es Bob Marley gelungen, eine inoffizielle Internationale zu schreiben, die nicht nur auf der ganzen Welt, sondern auch von der ganzen Familie mitgesungen werden kann, was dazu führte, daß im Handumdrehen eine Hure zur Betschwester und ein Sextourist zum Chorknaben mutierte.
    Bald darauf verschwand Bruder Tom mit Schwester Vogelnest für kurze Zeit. Nana und ich mußten warten, aber wir warteten nicht so

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