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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Großen Freiheit überfällt mich.
    Ja, das hier ist eine Kiezgeschichte. Und die Männer trinken heute nacht auf mein Wohl, denn ich habe Geburtstag. Zwanzig kleine Bier werden gen Himmel gestemmt und weggeschluckt, neunzehn rechte Hände und eine linke schüttle ich. Die linke gehört Mohrchen, der nur die eine hat, weil ihm die rechte bei den Saudis verlorenging. Dort soll Mohrchen einer Haremsdame am Hintern rumgefummelt haben, und das darf man da nicht.
    Zwanzig Hände und die Männer, die an ihnen hängen, sind das Salz der sündigen Meile, qualifizierte Leute. «Außenwerbungs-Fachmänner» der Oberklasse. Kommunikationsgenies, die selbst noch auf japanisch reden, bis die Zunge fasert, «damit die Mädchen in den Kabaretts nicht nur zum Stricken kommen, haha».
    Die «Freiheit» mit ihren neun großen Kabaretts ist ihre Piste, und diese Läden vollzukriegen ist ihr Job. Kobern nennen sie das, und kobern kann nicht jeder. Ich zum Beispiel bin eine Niete, ich bin mein Bier nicht wert und schon gar nicht den blauen Uniformmantel der Reichsmarine mit dem Elefanten dran, den ich heute trage. Es ist ein Portiersmantel des «Safari», und eigentlich haben die, die in ihm stecken, es leichter als alle anderen hier. Denn das «Safari-Sexkabarett» hat drei Eingangstüren, und die Leute brauchen immerhin dreiunddreißig Schritte, um daran vorbeizukommen.
    Dreiunddreißig Schritte und drei Portiers stehen im Weg. Otto, Siggi und Enzo. Profis der alten Schule, die auf zwanzig Meter Entfernung am Schnitt der Hosen erkennen, ob da nun gleich Engländer oder Polen über ihren Laufsteg kommen. Und wenn es ein Schwabe ist, reden sie plötzlich nur noch Dialekt und erzählen von ihrer Oma, die in Pforzheim lebte. Dann muß der Günther vom «Tanga-Club» gegenüber immer herzlich lachen, weil er wirklich aus dem Schwarzwald stammt. Und wenn der Günther herzlich lacht, verstehen die Leute kein Wort mehr, denn der Günther hat früher richtige Operetten gesungen. Immer nur den Bariton und am liebsten das Lied vom «Armen Wandergesell». Also beschreiben wir doch einmal unter dem Baritongelächter des Operettenportiers, wie lang dreiunddreißig Schritte werden können:
    Es beginnt in der Regel rechts außen an der «Safari»-Front, wo die St.-Pauli-Gäste aus dem Nebeneingang des Eroscenter eilen. Deren Augen stellen sich gerade vom roten Dämmerlicht des Hühnerhofs auf die taghell strahlende «Freiheit» ein, da steht vor ihnen im Lichterglanz dieser uniformierte Mensch. Ein Flottenkapitän? Ein Volkspolizist? Ein Tierparkwächter? Nein, es ist Otto, der Hobbygärtner aus Passion. Rosen, Gladiolen und Narzissen sind seine Leidenschaft, tagsüber, wenn die Sonne seinen Garten küßt. Nachts aber, rechts außen am «Safari», glüht dem Otto die Narbe quer über seiner Nase, wenn er Freier wittert. Attacke – es ist Hunting Season!
    «Ah, Männer, auf euch haben wir gewartet. Hier geht’s rein zum ‹Safari›. Da wollt ihr doch hin.» Das ist für Otto keine Frage, sondern eine Selbstverständlichkeit. Für das «Safari» durchquert man Wüsten, schlägt sich durch Dschungel, quält sich über Gletscher. Kein Weg ist zu lang, und alle enden im Kabarett, meint Otto. Denn hier ist der Ort, an dem man getrost seine lächerlichen Tausender lassen kann. Und die wandern zum Teil in Ottos Taschen, der das Geld bitter für seine Blumen braucht. Und Korn ist auch eine Blume.
    Natürlich gehen die Angesprochenen in dieser Phase des Koberns noch weiter, so als hätten sie sich ins Eroscenter wahrhaftig nur verirrt und suchten jetzt hinter der «Freiheit» den Hauptbahnhof. Aber Otto ist hart an ihrer Seite, gibt Lebenshilfe, kostenlos und so unverbindlich wie das Lächeln eines hungrigen Krokodils: «Aber, Männer, Geilheit ist doch keine Schande. Da braucht ihr euch nicht zu schämen. Nein, am ‹Safari› geht man nicht vorbei. Das ist der schärfste Laden jenseits der ewigen Verdammnis. Ihr beißt euch ins Bein, wenn ihr das verpaßt.»
    Sollte einer der Männer jetzt lachen, wird Otto das zum Anlaß nehmen, sich in seinem Stolz verletzt zu fühlen. Dann bläht er die Backen auf, die Narbe über seiner Nase vibriert wie der Degen eines Toreros, die Ehre muß wiederhergestellt werden: «Was denn, Freunde, ihr glaubt mir nicht? Ihr haltet mich für einen Lügner, Betrüger, gewinnsüchtigen Halsabschneider? Das kann ich nicht auf mir sitzenlassen, Männer. Jetzt müßt ihr mal reingucken und euch davon überzeugen, daß ich hier keinen

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