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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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des Dalai Lama sagte später, auch sie sei waffenscheinpflichtig gewesen.
    Die Kämpfer und Fans in Paris wußten nicht viel von Seagals buddhistischem Outing und wollten es nicht näher wissen. Sie kannten nicht einmal den Unterschied zwischen Wiedergeburt und Reinkarnation. Wiedergeboren werden wir alle, sagen die tibetischen Buddhisten, irgendwann, irgendwo. Reinkarnieren können nur wenige. Reinkarnieren heißt, bewußt zu bestimmen, in welchen Körper man zurückkommen will. Sich ein Leben aussuchen, wie es einem gefällt. Das können nur die Meistermönche, Lamas genannt. 1997 wurde die Welt davon in Kenntnis gesetzt, daß Steven Seagal die Reinkarnation des Lama Chungdrag Dorje sei, der vor vierhundert Jahren in einem kleinen Kloster Osttibets lebte. Das Kloster steht heute noch. Es ist bekannt für seine wunderschönen Wandmalereien.
    Einmal Künstler, immer Künstler? Damals Maler, jetzt beim Film? O ja, es gab viele Fragen. Aber auch einen Daumen, der nicht mehr fragen wollte. Und jenseits der Trainingsmatten hatten die Leibwächter das Sagen. Seit jenem Tag, an dem Larry King den reinkarnierten Meister in seiner Talkshow zum Nachtisch verspeiste und das Gerücht verbreitete, eine zweistellige Millionenspende an ein Kloster in Südindien habe das Wunder der punktgenauen Wiedergeburt möglich gemacht, redet Seagal nicht mehr mit Journalisten. Seagal parierte den Vorwurf Kings noch relativ souverän. Ihm persönlich, sagte er, sei es egal, ob die Leute dächten, er habe sich den Lama-Titel gekauft. Allerdings erschüttere es ihn zutiefst, daß man dem Buddhismus Bestechlichkeit unterstelle.
     
    Am Abend des ersten Seminartages gab es im Centre Sportif zu Paris eine Demonstration der Kriegskünste für die interessierte Öffentlichkeit. Frankreichs beste Aikido- und Kendokämpfer zeigten die reine Lehre. Ein Bogenschütze, dessen elegante Konturen einer japanischen Tuschezeichnung entnommen schienen, traf mühe- und lautlos sein Ziel. Ein Kämpfer namens Christian Tissier, wie Seagal Träger des siebten Meister-Dan, nahm es mit sieben Gegnern gleichzeitig auf. Seagal selbst schaute zu. Er saß in einer VIP-Loge, die im Halbrund um die Matten aufgebaut war. Neben ihm nahmen nur ein paar seiner engsten Schüler Platz, plus zwei Frauen, eine rothaarig, eine blond. Die französischen Aikidokämpfer gesellten sich weder vor noch nach ihren Demonstrationen zu ihm. Seagals Kampfstil ist in der Aikido-Welt umstritten. Alle bestätigen, er kämpfe genial, aber den Traditionalisten ist er definitiv zu brutal (Straßen-Aikido), und nicht jeder mag seine Filme. Wenn er sich vor aller Augen von einem vor ihm knienden Schüler die Schuhe ausziehen läßt, dann können sie das zwar verstehen, denn in japanischen Kampfschulen sind die Umgangssitten noch immer feudal, aber nie würden die französischen Meister dergleichen vor europäischem Publikum tun. Noch dazu waren es keine Schuhe, sondern Cowboystiefel. Mit dem orangeroten Buddha-Gewand eine sehr ungewöhnliche Kombination. Die Mischung aus Nippon, Hollywood und Himalaja hielt die Aikido-Traditionalisten auf Distanz. Für die Distanz ihres Chefs zu den liberaleren Aikidokämpfern waren die Leibwächter da.
    Nach der Show ging Seagal durch die Halle, um vor dem Bühnenaltar eine kleine Rede zu halten. Während seines Seminars war er anders gegangen. Langsam, kerzengerade, machtvoll wie ein Berg, der Beine hat. Nun ging er, als hätte er einen Hexenschuß. Langsam, gebeugt, die Handflächen zum Gebet vor der Brust aneinandergelegt. Beinahe wie der Dalai Lama. Beinahe.
    Der Dalai Lama war es übrigens nicht, der Seagals Reinkarnation verkündet hat. Das war Seine Heiligkeit Penor Rinpoche, ranghöchster Lama der Pelyül-Tradition, einer der vier großen Schulen im tibetischen Buddhismus. In Tibet hatte Penor Rinpoche die Verantwortung über tausend Klöster, nach dem Einmarsch der Chinesen gründete er mehrere buddhistische Zentren im Exil, das größte im südindischen Bundesstaat Kerala. Er ist also kein Abweichler von der reinen Lehre, obwohl seine Geschichte von der Entdeckung eines Lama in Hollywood reichlich abwegig erscheinen mag.
    Zunächst der korrekte Titel: Reinkarnierte Lamas werden Tulkus genannt, und Tulkus gibt es viele im Himalaja. Im Westen dagegen nur ein paar: einen in Montreal lebenden Kanadier (neuer Name: Tenzin Sherbab), eine Frau aus Brooklyn (neuer Name: Jetsünma), einen Spanier (neuer Name: Lama Ösel), einen Franzosen (neuer Name: Trinlay Tulku)

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