Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
und noch einen Franzosen, ganz jung, aber seinen Namen halten die Eltern geheim.
Wie werden diese alten Seelen Tibets im neuen Körper entdeckt? Erst fühlen es ihre Entdecker im Inneren, dann folgen die Tests. Persönliche Gegenstände aus dem früheren Leben (ein Schal vielleicht, ein Stein, Devotionalien) werden dem Prüfling zusammen mit ähnlichen, aber nicht zur damaligen Existenz gehörenden Kleinigkeiten vorgelegt. Greift er nach den richtigen Sachen, ist die Prüfung bereits zur Hälfte bestanden. Hinzu kommt, daß Tulkus detailliert von ihrer früheren Heimat träumen, spielend Tibetisch lernen und oftmals alte Bekannte wiedersehen. Ihren buddhistischen Lehrer von damals zum Beispiel, der heute ihr Schüler ist. So was soll unter Tulkus häufig vorkommen. Ein ebenfalls verbreitetes Tulku-Phänomen: Sie lieben, nach offizieller Verlautbarung Seiner Heiligkeit Penor Rinpoche, Vampirfilme. Ist das unsterblich Gute vom unsterblichen Bösen fasziniert?
Steven Seagals Outing als Tulku, sagt Seine Heiligkeit Penor Rinpoche, sei ungewöhnlich schwierig verlaufen. Viele Devotionalien, die Steven vor vierhundert Jahren besaß, hätten die Kulturrevolution nicht überstanden. In Seagals Fall mußte sich Penor Rinpoche deshalb mehr als üblich auf seine Intuition verlassen. His Holiness ist sich aber trotzdem völlig sicher und weist das Gerücht von der zweistelligen Millionenspende, die das Wunder von Seagals Wiedergeburt vollbracht habe, entschieden zurück. Zu den Werken seines Schützlings verkündete Rinpoche folgendes: «Einige Leute denken, Steven Seagal könne kein wahrer Buddhist sein, weil er brutale Filme macht. Dem ist nicht so. Solche Filme sind pure Unterhaltung und haben nichts mit dem zu tun, was wahr und wichtig ist. Aus der Sicht des Buddhismus reinkarnieren mitfühlende Wesen in jede Art Leben, um ihren Mitmenschen zu helfen. So gesehen kann ein Heiliger durchaus auch Actionstar sein.»
Und warum hört Steven Seagal nicht auf Penor Rinpoche, der schließlich sein Guru ist? Seit seiner Entdeckung als reinkarnierter Lama hat Seagal mit der brutalen Unterhaltung aufgehört. In «Fire Down Below» schlug er sich nur halb so oft wie sonst, in «The Patriot» kämpft Seagal noch etwa fünf Minuten. Den Rest der Zeit, die nicht vergehen will, tut er Gutes und redet Gutes und spielt Gitarre. Ergebnis: Beide Filme waren Flops. Für seine Fans und Warner Brothers: Alarmstufe Rot. Der gleichnamige Film (1992) hat über achtzig Millionen Dollar eingespielt und war sein erfolgreichstes Werk. Hundert Terroristen in hundert Minuten niedergemacht, ein Kriegsschiff zurückerobert und Tommy Lee Jones ein Messer in den Schädel gerammt.
Der Held ist ein Heiliger geworden. Auch in Paris zog er an diesem Abend das Predigen einer Demonstration seiner Kampfeskünste vor. Er bewegte dabei seine geöffneten Hände synchron nach oben. Genauso langsam, wie der Dalai Lama es macht. Aber es hat niemanden interessiert.
Erst auf der Straße war Seagal wieder der alte. Seagal trat aus der Tür. Aufrecht, machtvoll, mit vor dem Bauch verschränkten Armen, von vier Leibwächtern flankiert. Ein paar Fans wollten Autogramme und kamen ihm nahe, was Seagal offensichtlich seinen Bodyguards übelnahm. «Was soll der Scheiß?» zischte er sie an und verschwand eilig in der schwarzen Stretchlimousine. Sie rollte im Dunkel der Nacht davon. Die Leibwächter mußten sie im Laufschritt begleiten. Zwei an jeder Seite. Zur Strafe? Man weiß es nicht.
Nur immer rein, der Herr!
(St. Pauli)
M aria ist eigentlich nicht mein Thema. Aber mach mal was, wenn eine brasilianische Stripteasetänzerin mit langen schwarzen Haaren, großen Augen und einer roten Lederhose als zweiter Haut dich auf ein Malzbier in ihre Wohnung einlädt. Dann läßt du dein Thema unten vor der Tür stehen und dankst deinem Schicksal.
Maria hat frei heute nacht, und sie zeigt mir ihre Wohnung. Vor dem Schlafzimmer sehe ich einen Altar. Ein Kruzifix liegt darauf, eine kleine portugiesische Bibel, eine Schale mit Blüten. Sie betet jeden Tag davor und bittet um etwas Gutes für sich, ihren Mann und ihre Freunde. Jeden Tag im zweiten Stock, Große Freiheit 4.
Unten vor der Tür steht Werner und nimmt gerade einige Herren aus Malmö ins Gebet. Auf schwedisch, was sich so anhört: «Hir ha du originale Knüllershow», sagt er, oder auf deutsch: «Hier wird live gebumst.» Und die Herren gehen rein ins Kabarett und ich raus aus Marias Wohnung, und das Neonlichtgemisch der
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