Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Kokolores rede. Mein Gott, das ist mir ja noch nie passiert!»
Alles in allem waren das so ungefähr fünfzehn Schritte, wenn wir davon ausgehen, es nicht mit Japanern zu tun zu haben, und wir sind nun auf Höhe der mittleren Eingangstür.
Hier steht Siggi. Der Siebenundfünfzigjährige hält die Tür weit und einladend auf, so als hätten sich die Männer längst entschlossen einzutreten. Siggis in der Regel erster Spruch: «Soll der Rüssel in der Hose stehen, mußt du ins ‹Safari› gehen.» Dann kommt das Maschinengewehr: «Dreißig Frauen allein auf der Bühne. Von den anderen will ich gar nicht reden. Ficken im Scheinwerfer, die Gäste können mitmachen. Porno, Liveshow, internationaler Striptease. Was Sie wollen, wie Sie’s wollen. Schwarze, weiße, gelbe, braune Tänzerinnen, rasiert, unrasiert.»
Sind die Passanten Engländer, hört sich das Ganze so an: «Komm on, gschentlemenns, very nize schau. Facking girls on der steitsch.» Und kobert Siggi Türken, spricht er sie grundsätzlich mit «Mein Freund Osram» an, nur weil er mal einen Türken kannte, der Ossan hieß.
Bei solchen Gelegenheiten muß sich der Schwarzwald-Günther von gegenüber an seinem Kollegen Michael festhalten, weil das Lachen ihm schier die Beine wegziehen will. Aber Siggi schafft es meistens. Die Leute bleiben verblüfft stehen – ihr Pech. Denn Otto stößt von hinten nach, geht ins Detail. Preise, Dauer der Shows, Namen illustrer Gäste. Und äußern die Leute dann den Wunsch, sich noch anderweitig auf der «Freiheit» umzusehen, wird locker die Konkurrenz niedergemacht: «Wo wollen Sie denn hin? Ins ‹TAF› etwa? Wissen Sie, was ‹TAF› heißt? Toilette auf der Freiheit heißt das. Sie wollen doch keine Toilette sehen, sondern ein Kabarett. Und da geht’s hier rein.»
Wer jetzt noch immer nicht im «Safari» ist, hat noch einmal dreizehn Schritte bis zur dritten Eingangstür, wo ein entspannt lächelnder Herr mit graumelierten Schläfen wartet. Enzo. Er ist Italiener, und auf zwei Dinge legt er Wert. Erstens: seine Ehre. Zweitens: ab fünfundvierzig nicht mehr arbeiten zu müssen. Zu zweitens ist zu sagen, daß Enzo alle Tricks kennt. Als Barkeeper im Rotterdamer «Hilton» lernte er, Orangensaft und Leitungswasser zu seinen Gunsten zu vermischen. Und als Portier weiß er, daß er sich seinen Traum von einer eigenen kleinen Bar im Süden nur erfüllen kann, wenn er die kleinen Bars auf St. Pauli meidet.
Was die Ehre betrifft: Enzo mag keine «wilden Weiber», die sich ihm an den Hals werfen. Frauen müssen erobert werden. Sind also unter den Passanten, die sich an Otto und Siggi vorbeigerettet haben, Frauen, dann ist Enzo da.
«Oh, meine Damen» (ein, zwei schnelle Schritte auf sie zu), «endlich mal wieder gutaussehende Frauen.» (Bei dieser Lüge reibt sich Enzo vergnüglich die Hände.) «Ich freue mich, Sie zu sehen. Hier läuft ja sonst soviel Schrott herum. Da sind Sie eine Augenweide für einen alten Mann wie mich.»
«Aber so alt sind Sie doch gar nicht», antwortet eine der Frauen, und schon ist sie verstrickt.
«Ach ja, meine Damen, die Liebe hat mich jung gehalten. Sie verstehen. Apropos Liebe. Wir haben auch wunderbar gebaute junge Männer im ‹Safari›, nackt, mit gewaltigen …» (Enzo mißt eine beachtliche Distanz mit den Händen), «Sie verstehen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, meine Damen. Ich zeige Ihnen das jetzt mal ganz unverbindlich. Und weil Sie es sind, sorge ich dafür, daß Sie keinen Eintritt bezahlen müssen.»
Das ist ein Angebot. Eintritt hat beim «Safari» noch nie jemand bezahlen müssen, weil das «Safari» keinen Eintritt verlangt, doch das nur nebenbei.
«Wirklich keinen Eintritt?» fragt die Dame.
«Sie können sich auf mein Wort verlassen», sagt Enzo, und er hat sie drin.
Nun wollen wir es nicht Lügen nennen, was die Jungs hier machen, denn die Hälfte von dem, was sie sagen, stimmt. «Bis auf Siggi, der lügt nur», sagen die Kollegen, «der braucht nur den Mund aufzumachen.» Aber bei Siggi, den man auch den Hinkel nennt, weil sein rechtes Bein aus Holz ist, hat das Lügen eine Genialität erlangt, die sich weit über jede Moral erhebt. Sein Talent kommt nicht von dieser Welt, sondern wurde in den Sphären der Geschichtenerzähler geboren, und wer von uns will sich da anmaßen, zu sagen, was wahr und was unwahr ist?
Die Geschichte, wie Siggi seiner Katze das Tanzen beibrachte, oder die, wie er mit besoffenem Kopf vorne an der «Freiheit» Eintrittskarten für die
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