Der Joker
Türsteher kommt herein.
»Du bist ein guter Freund, Ed«, sagt Ritchie schließlich und legt wieder seine übliche, gleichmütige Haltung an. Er kämpft darum, sie aufrechtzuerhalten. »Und du«, sagt er zum Türsteher, »stinkst wie eine Kloake.«
Er steht auf und geht.
Die Worte tänzeln um mich herum, während er seine Kawasaki startet und dröhnend die dunkle, bewegungslose Straße entlangfährt.
Das war echt ein bisschen heftig, Ed , sagt der Türsteher.
Wir stehen eine Weile da und lauschen auf die Stille.
Am nächsten Abend bin ich wieder da, vor Ritchies Haus. Etwas in mir überzeugt mich davon, dass ich nicht nachlassen darf.
Seine Gestalt wird in der Küche sichtbar, aber diesmal kommt er mit dem Radio in der einen und einer Flasche in der anderen Hand zur Haustür. Seine Füße fallen und seine Stimme ruft mir zu.
»He, Ed.«
Ich trete vor.
Er sagt: »Lass uns zum Fluss gehen.«
Der Fluss fließt an der Stadt vorbei. Von Ritchies Haus aus laufen wir hin und setzen uns ans Ufer. Die Flasche wandert zwischen uns hin und her. Das Radio redet leise.
»Weißt du, Ed«, sagt Ritchie nach einer Weile, »früher habe ich gedacht, dass ich die Schlafkrankheit hätte...« Er schweigt, als ob er vergessen hätte, was er sagen wollte.
»Und?«
»Was?«
»Schlafkrank …«
»Ach ja.« Er sammelt sich wieder. »Ja, ich dachte, ich hätte sie, aber dann habe ich festgestellt, dass ich einfach nur einer der faulsten Kerle bin, die die Welt je gesehen hat.« Oberflächlich betrachtet ist das ziemlich witzig.
»Da bist du nicht der Einzige.«
»Aber die meisten Leute haben Jobs, Ed. Sogar Marv. Sogar du.«
»Was meinst du damit - sogar ich?«
»Nun, du bist nicht unbedingt der tatkräftigste Mensch, den ich kenne, Ed.«
Zugegeben. »Das kann man so sagen.« Ich trinke einen
Schluck. »Aber ich würde Taxifahren auch nicht als wirkliche Arbeit bezeichnen.«
»Als was denn?«, fragt Ritchie.
Ich denke einen Moment lang nach, bevor ich ihm antworte. »Als Ausrede.«
Ritchie sagt nichts, denn er weiß, dass ich Recht habe.
Wir trinken weiter und der Fluss fließt ungehindert vorbei.
Das ist jetzt eine gute Stunde her.
Ritchie steht auf und geht in den Fluss hinein. Das Wasser reicht ihm bis zu den Knien. Er sagt: »So ist unser beider Leben, Ed.« Er deutet auf den Fluss, vermittelt mir die Idee von Dingen, die an uns vorbeifließen. »Ich bin gerade mal zwanzig und…« Das Hendrix-Tattoo blinzelt mir im Mondlicht zu. »Schau mich an: Es gibt nichts, was ich wirklich will.«
Die Brutalität der Wahrheit ist manchmal von makelloser Schönheit. Bewundernswert.
Normalerweise laufen wir herum und glauben an das, was wir sagen. »Mir geht’s gut«, sagen wir. »Ich fühle mich wohl.« Aber manchmal kehrt die Wahrheit ein und man wird sie nicht mehr los. Und das ist der Moment, in dem man merkt, dass die Wahrheit nicht einmal eine Antwort ist. Sie ist eine Frage. Selbst jetzt frage ich mich, wie viel von meinem Leben ich mir einrede.
Ich stehe auf und geselle mich zu Ritchie im Fluss.
Wir stehen beide da, knietief im Wasser, und die Wahrheit hat uns im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen runtergelassen.
Der Fluss fließt vorbei.
»Ed?«, sagt Ritchie später. Wir stehen immer noch im Wasser. »Es gibt nur eine Sache, die ich will.«
»Und was ist das, Ritchie?«
Seine Antwort ist einfach.
»Wollen.«
6
Gott segne den Mann samt seinem Bart, seiner Zahnlücke und seiner Armut
Ritchie lässt am nächsten Tag die Kneipe und das Wettbüro links liegen und macht sich tatsächlich auf die Suche nach einem Job. Was mich betrifft, so muss ich zugeben, dass auch ich viel über das nachgedacht habe, was letzte Nacht gesagt wurde.
Ich fahre Leute in der Stadt herum, lasse mir sagen, was ich tun und wohin ich mich wenden soll. Ich beobachte Menschen. Ich spreche mit ihnen. Schönes Wetter heute. Irgendein Wetter haben wir immer.
Fange ich an zu jammern?
Nein.
Ich habe es mir ja so ausgesucht.
Aber ist es auch das, was du willst? , frage ich mich.
Ein paar Kilometer weit lüge ich mich an. Ja , denke ich, das ist es, genau das. Ich versuche, mir einzureden, dass ich mein Leben genau so und nicht anders haben will, aber ich weiß, dass es nicht stimmt. Ich weiß, dass das Taxifahren und eine schäbige Hütte nicht der Sinn meines Lebens sein können. Das kann es einfach nicht sein.
Ich fühle mich, als hätte ich mich gerade erst hingesetzt und gesagt: »So, so, das ist also Ed
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