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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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einverstanden, und als wir uns voneinander verabschieden wollen, sage ich: »Vielleicht kannst du mir dann auch zeigen, welchen Sender du auf deinem Radio eingestellt hast.« Ich zwinge mich zu kalkulierter Grausamkeit. »Die Nachtsendungen müssen ja ganz ausgezeichnet sein.«
    Er schaut mich an. »Wovon redest du, Ed?«
    »Ach, gar nichts«, sage ich, und dabei belasse ich es, denn ich habe jetzt den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen und weiß genau, wie Ritchie sich fühlt, wenn er da in dem gelähmten Licht in der Küche hockt.
    Ich dringe in die Schwärze seiner Augen ein und finde ihn irgendwo ganz tief drinnen, taste mich durch ein Labyrinth aus anonymen, leeren Gassen. Er durchstreift sie ganz allein. Die Straßen winden und schlängeln sich um ihn herum, aber er verändert niemals seinen Schritt oder seine Geschwindigkeit.
    »Es wartet auf mich«, sagt er, als ich meinen Platz neben ihm einnehme, tief in seinem Innern.
    Ich muss es fragen: »Was, Ritchie?«
    Zunächst geht er einfach weiter. Erst als ich hinunterschaue, zu unseren Füßen, merke ich, dass wir in Wahrheit
nirgendwohin gehen. Es ist die Welt, die sich bewegt - die Straßen, die Luft und die dunklen Flecken des Himmels in ihm drin.
    Ritchie und ich stehen still.
    »Es ist da draußen«, höre ich ihn stumm sagen. »Irgendwo.« Er wirkt jetzt entschlossener. »Es will, dass ich zu ihm komme. Es will, dass ich es mir nehme.«
    Alles steht jetzt still.
    Ich kann es ganz deutlich in Ritchies Augen sehen.
    Tief im Innern, wo wir stehen, frage ich: » Was wartet, Ritchie?«
    Aber ich weiß es.
    Ich weiß es ganz genau.
    Ich hoffe nur, dass er es irgendwann findet.
     
     
    Als alle weg sind, trinke ich mit dem Türsteher noch einen Kaffee. Nach etwa einer halben Stunde werden wir durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen.
    Ritchie , denke ich.
    Der Türsteher scheint zustimmend zu nicken, während ich zur Tür gehe und sie öffne.
    »Hallo, Ritchie«, begrüße ich ihn. »Hast du was vergessen?«
    »Nein.«
    Ich lasse ihn herein und wir setzen uns an den Küchentisch.
    »Kaffee?«
    »Nein.«
    »Tee?«
    »Nein.«
    »Bier?«

    »Nein.«
    »Du bist ganz schön wählerisch, weißt du das?«
    Diesmal antwortet er mit Schweigen, aber schon bald schaut er mich an. Er fragt durchdringend: »Du hast mich beobachtet, nicht wahr?«
    Ich schaue ihn offen an und sage: »Ich beobachte jeden.«
    Er steckt seine Hände in die Taschen. »Bist du irgendwie pervers oder so?«
    Komisch - etwas Ähnliches hat mich Sophie auch gefragt. Ich zucke mit den Achseln. »Nicht mehr als jeder andere auch, nehme ich an.«
    »Könntest du bitte damit aufhören?«
    »Nein.«
    Sein Gesicht rückt näher. »Warum nicht?«
    »Ich kann nicht.«
    Er schaut mich an, als ob ich ihn auf den Arm nehmen wollte. Seine schwarzen Augen verlangen von mir, ihn aufzuklären, und genau das tue ich.
    Ich gehe in mein Schlafzimmer und hole die Karten aus der Schublade. Dann kehre ich in die Küche zurück. Meine Hände lassen die Karten vor meinem Freund auf den Tisch fallen, und ich sage: »Weißt du noch, als ich das erste Ass im Briefkasten fand, letzten September? Ich habe dir erzählt, dass ich es weggeworfen habe, aber das war gelogen.« Alles fließt aus mir heraus, sprudelt. Ich schaue ihn an. »Und jetzt bist du auf einer dieser Karten, Ritchie. Du bist eine der Botschaften.«
    »Bist du sicher?« Er versucht, mich glauben zu machen, dass ich mich irre, aber ich wehre ihn ab. Ich schüttele nur den Kopf und spüre, wie sich der Schweiß unter meinen Achseln sammelt.

    »Du bist es«, sage ich zu ihm.
    »Aber warum?«
    Ritchie bettelt, aber ich lasse mich nicht beirren. Ich kann nicht zulassen, dass er an diesen dunklen Ort in seinem Innern rutscht, wo sein Stolz auf dem Boden eines unsichtbaren Zimmers liegt. Schließlich rede ich ohne jede Spur eines Gefühls.
    Ich sage: »Ritchie, du bist eine Schande für dich selbst.«
    Er schaut mich an, als ob ich gerade seinen Hund erschossen oder ihm erzählt hätte, dass seine Mutter gestorben sei.
    Er sitzt jede Nacht in seiner Küche, und egal was die Stimmen im Radio sagen, die Worte sind immer dieselben. Es sind die Worte, die ich gerade ausgesprochen habe, und wir beide wissen es.
    Ritchie starrt auf den Tisch.
    Ich starre über seine Schulter hinweg.
    Wir beide wälzen das, was ich gesagt habe, in Gedanken hin und her. Ritchie sitzt da wie eine offene Wunde.
    Das geht ziemlich lange so, bis sich ein bestimmter Geruch breit macht. Der

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