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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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weil sie ihm nie widersprochen hat. Sie bereut alles.
    »Aber ich liebe Melinda«, sagt sie. »Sie ist das funkelnde
Juwel inmitten all der Hässlichkeit.« Suzanne sitzt neben ihrer Tochter und schaut mir im Rückspiegel in die Augen. »Sie macht mich wertvoll, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Ich lasse den Wagen an und fahre los.
     
     
    Nur das Geräusch des Motors füllt den Innenraum des Autos. Melinda schläft. Dann wacht sie auf, spielt und erzählt und tanzt mit ihren Händen.
    »Hasst du mich, Ed?«, fragt Suzanne, als wir uns der Stadt nähern. Ich muss daran denken, dass Audrey mir dieselbe Frage gestellt hat.
    Ich schaue in den Rückspiegel und frage: »Warum sollte ich?«
    »Wegen dem, was ich Marv angetan habe.«
    Die Antwort, die mir einfällt, kommt ganz automatisch. Vielleicht habe ich sie mir unbewusst schon zurechtgelegt. Ich sage nur: »Du warst fast noch ein Kind... Marv war genauso jung wie du. Und dein Vater ist dein Vater. Irgendwie«, fahre ich fort, »tut er mir Leid. Es hat ihn schwer getroffen.«
    »Ja, aber was ich mit Marv gemacht habe, ist unverzeihlich.«
    »Du sitzt in diesem Taxi, oder etwa nicht?« Wieder schaue ich sie an.
    Nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hat, wirft mir Suzanne Boyd ein leichtes Nicken zu. »Weißt du was, Ed?« Sie schüttelt leicht den Kopf. »Noch nie hat jemand so mit meinem Vater gesprochen wie du.«
    »Oder sich ihm in den Weg gestellt wie Marv.«
    Noch einmal nickt sie.

    Ich sage zu ihr, dass ich sie dort absetzen kann, wo Marv arbeitet, aber sie bittet mich, sie zu einem nahe gelegenen Spielplatz zu bringen.
    »Gute Idee«, sage ich. Dort wartet sie.
     
     
    Marvs Hämmern macht eine kurze Pause. Er hockt irgendwo hoch oben und hat ein paar Nägel zwischen die Lippen geklemmt. Ich nutze die Gelegenheit und rufe zu ihm hoch: »Komm mal runter, Marv!«
    Er sieht meinen Gesichtsausdruck, hält inne, spuckt die Nägel aus, lässt den Werkzeuggürtel fallen und steigt zu mir herab. Als wir losfahren, ist er, glaube ich, nervöser als an dem Abend, als wir nach Auburn gefahren sind.
    Am Spielplatz steigen wir beide aus. »Sie warten auf dich«, sage ich zu ihm, aber ich glaube nicht, dass er mich hört. Ich setze mich auf die Motorhaube und Marv geht zögernd weiter.
    Das hohe Gras ist gelb und vertrocknet. Niemand mäht es. Es ist ein alter Spielplatz. Ein schöner, alter Spielplatz mit einer großen eisernen Rutsche, mit Schaukeln an Ketten und einer Wippe, die einem in den Hintern schneidet - genau so, wie es sein soll. Nirgends ein Fitzelchen Plastik.
    Ein leichter Wind tippt das Gras an.
    Als Marv sich umdreht und nach mir schaut, sehe ich, wie sich die Angst in seinen Augen niederkauert. Langsam geht er zu den Spielgeräten, wo Suzanne Boyd wartet. Melinda sitzt auf einer Schaukel.
    Marv sieht riesig aus.
    Sein Gang, seine Hände, seine Sorge - alles riesengroß. Ich kann nichts hören, aber ich sehe, dass sie miteinander reden. Marvs riesige Hand schüttelt die seiner Tochter.

    Ich merke, wie gerne er sie halten möchte, sie umarmen und drücken, aber er beherrscht sich.
    Melinda hüpft wieder auf die Schaukel, und nachdem sich Marv in Suzannes Augen die Erlaubnis geholt hat, schubst er seine Tochter sanft an.
    Nach ein paar Minuten entschlüpft Suzanne den beiden unbemerkt und kommt zu mir.
    »Er ist lieb zu ihr«, sagt sie leise.
    »Ganz bestimmt.« Ich lächle. Ein Lächeln für meinen Freund.
    Wir hören Melindas schrille Stimme: »Höher, Marvin Harris! Höher!«
    Nach und nach schubst er fester. Mit beiden Händen berührt er den Rücken seiner Tochter und sie lacht laut und saust in den Himmel.
    Als sie genug hat, hält Marv die Schaukel an. Die Kleine klettert vom Sitz, packt seine Hand und führt ihren Vater zurück zu uns. Selbst aus dieser Entfernung sehe ich, dass Marv Tränen in den Augen hat, so klar wie Glas.
    Marvs Lächeln und die großen Glastränen auf seinem Gesicht sind zwei der schönsten Dinge, die ich jemals gesehen habe.

10
    Audrey zum Ersten: Drei Nächte
    In dieser Nacht, nach dem Tag der Schaukel, schlafe ich nicht.
    Jeder vorbeiziehende Moment zeigt mir wieder Marv, der das kleine Mädchen anschubst, oder Marv, der mit ihr Hand in Hand auf uns zukommt.
    Kurz vor Mitternacht höre ich Marvs Stimme vor meiner Tür. Ich mache auf, und er steht da, sieht genauso aus, wie er sich fühlt.
    »Komm raus«, sagt er. Ich trete über die Türschwelle und mein Freund Marvin Harris umarmt mich. Er umarmt mich so fest,

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