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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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dem Auto und steht einfach nur da.
    »Viel Glück«, sage ich. Lieber Gott, ich kann noch hier drin im Taxi sein Herz schlagen hören! Es ist ein Wunder, dass es den armen Kerl nicht von innen niederprügelt.
    Er steht da. Drei Minuten lang.
    Er überquert die Straße. Nach zwei Anläufen.
    In der Einfahrt ist es leichter. Die schafft er gleich beim ersten Mal.
    Dann - der große Moment...
    Vierzehn Versuche, an eine Tür zu klopfen. Als ich schließlich seine Fingerknöchel gegen das Holz hämmern höre, klingt es wie rohes Fleisch.
    Die Tür wird geöffnet. Da steht Marv, in Jeans, einem ordentlichen Hemd und Stiefeln. Worte werden gesprochen, aber ich kann sie natürlich nicht verstehen.

    Die Erinnerung an Marvs Herzschlag und das Klopfen an der Tür blockiert meine Ohren.
    Marv geht ins Haus, und jetzt ist es mein Herz, das ich hören kann. Es kann lange dauern , denke ich. Womöglich habe ich noch nie im Leben so lange gewartet.
    Ich irre mich.
    Etwa dreißig Sekunden später kommt Marv rückwärts aus der Tür gestolpert. Er wird förmlich geschleudert. Durch die Tür und hinaus auf den Rasen. Henry Boyd, Suzannes Vater, verpasst Marv eine Tracht Prügel, die er nicht mehr so schnell vergessen wird. Ein kleines Rinnsal Blut fließt aus Marv heraus auf den Rasen. Ich steige aus dem Taxi.
    Um es gleich vorwegzusagen: Henry Boyd ist kein gro ßer Mann, aber er ist kräftig.
    Klein, aber schwer.
    Und er hat einen starken Willen. Er ist die Westentaschenversion des Kerls in der Edgar Street. Und er ist nüchtern. Und ich habe keine Waffe.
    Ich gehe über die Straße. Marv liegt, alle viere von sich gestreckt, in der Einfahrt, wie ein Selbstmörder, der sich von einem Hochhaus gestürzt hat.
    Er wird getreten.
    Mit Worten.
    Er wird erschossen.
    Mit Henry Boyds ausgestrecktem Finger.
    »Und jetzt mach, dass du wegkommst!«
    Der kleine, sehnige Mann steht über Marv und fängt an, sich die Hände zu reiben.
    »Sir«, höre ich Marvs flehende Stimme. Nur seine Lippen bewegen sich. Sonst nichts. Er spricht gen Himmel. »Ich habe beinahe fünfzigtausend...«

    Aber Henry Boyd ist nicht interessiert. Er tritt noch näher, türmt sich über Marv auf.
    Ein Kind weint. Nachbarn versammeln sich auf der Straße. Keiner will die Show verpassen. Henry wendet sich ihnen zu und erklärt ihnen, dass sie ihre fetten Ärsche gefälligst wieder in ihre Häuser bewegen sollen. O-Ton.
    »Und du!« Er züchtigt Marv mit seiner Stimme. »Komm niemals wieder hierher, nie wieder , hörst du?«
    Ich bin da und kauere mich neben Marv. Seine Oberlippe ist übergroß und blutgetränkt. Er schlingert zwischen Wachsein und Ohnmacht hin und her.
    »Und wer zum Teufel bist du?«
    Scheiße , denke ich und bin mit einem Mal außerordentlich nervös. Damit bin wohl ich gemeint. Schnell gebe ich Antwort. Respektvoll. »Ich sammle nur meinen Freund aus Ihrem Vorgarten auf.«
    »Gute Idee.«
    Da sehe ich Suzanne. Sie steht im Türrahmen und hält ein kleines Kind an der Hand. Ein Mädchen. Du hast eine kleine Tochter! , will ich Marv zurufen, aber ich kann mich gerade noch rechtzeitig am Riemen reißen.
    Ich nicke ihr zu. Suzanne.
    »Rein mit dir, Suzie!«
    Sie erwidert mein Nicken.
    »Sofort!«
    Das Kind weint wieder.
    Sie ist fort und ich helfe Marv auf die Füße. Ein einsamer Blutstropfen saugt sich in sein Hemd.
    Henry Boyd kämpft nun mit Tränen der Wut. Sie punktieren seine Augen. »Dieser Bastard hat Schande über meine Familie gebracht.«

    »Genau wie Ihre Tochter.« Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe.
    »Du machst besser, dass du wegkommst, Junge, oder ich sorge dafür, dass man euch beide für Zwillinge hält.«
    Wie nett.
    Ich frage Marv, ob er alleine stehen kann. Er kann und ich gehe auf Henry Boyd zu. Ich glaube nicht, dass ihm das oft passiert. Er ist zwar klein, aber je näher man ihm kommt, desto kräftiger wirkt er. Im Augenblick ist er allerdings sprachlos.
    Ich schaue ihn an, immer noch voller Respekt.
    »Dieses Kind dort drin ist wunderschön«, sage ich. Meine Stimme zittert nicht. Das überrascht mich selbst und verleiht mir den Mut weiterzureden. »Das stimmt doch, nicht wahr?«
    Er kämpft. Ich weiß, womit er sich im Augenblick herumschlägt. Er möchte mich am liebsten erwürgen, aber er kann die merkwürdige Selbstsicherheit spüren, die im Augenblick jedes meiner Worte einkleidet. Schließlich antwortet er. Er trägt Koteletten. Sie beben leicht, bevor er spricht. »Verdammt richtig, sie ist

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