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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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aber ich kann nicht.« Er fährt mit seiner Geschichte fort. »Etwa eine Woche später kam Sarah zu mir auf die Arbeit. Sie gab mir den Zettel und sagte: ›Ich musste versprechen,
es niemandem zu verraten - besonders dir nicht. Aber ich glaube einfach nicht, dass es so richtig ist.‹ Dann sagte sie noch: ›Aber sei vorsichtig. Suzies Vater meint, er bringt dich um, wenn du noch mal in ihre Nähe kommst.‹ Und dann ging sie wieder.« Leere bedeckt sein Gesicht. »An diesem Tag hat es geregnet, das weiß ich noch. Kleine Regenfetzen.«
    »Sarah«, sage ich, »das ist doch die große, hübsche Braunhaarige, oder?«
    »Richtig«, sagt Marv. »Nachdem sie bei mir war, bin ich ein paarmal nach Auburn gefahren. Einmal hatte ich sogar zehntausend Dollar in der Tasche - um zu helfen. Das ist alles, was ich will, Ed.«
    »Ich glaube dir.«
    Langsam reibt er sich übers Gesicht und sagt: »Ja, ich weiß. Danke.«
    »Also hast du das Kind noch nie gesehen?«
    »Nein, ich hatte noch nicht einmal den Mut, in die Straße abzubiegen. Ich bin ein absoluter Jammerlappen.« Er betet sich vor: »Jammerlappen, Jammerlappen.« Sanft und doch heftig schlägt er mit seiner Faust auf das Lenkrad. Ich erwarte, dass er jeden Moment explodiert, aber Marv hat keine Kraft für einen Gefühlsausbruch. Diesen Punkt hat er schon lange hinter sich gelassen. Seit drei Jahren, seit ihn das Mädchen verlassen hat, ist seine Fassade undurchdringlich. Jetzt blättert sie von seiner Haut ab und zeigt hier, hinter dem Lenkrad, sein wahres Ich.
    »So…« Er zittert. »So sehe ich jeden Morgen um drei Uhr aus, Ed. Jeden Morgen sehe ich dieses Mädchen vor mir - dieses bettelarme, unglaubliche Mädchen. Manchmal laufe ich zu dem Feld und gehe in die Knie. Ich höre mein
Herz schlagen, aber ich will es nicht. Ich hasse meinen Herzschlag. Er ist zu laut, dort draußen in dem Feld. Er fällt nieder. Direkt vor meine Füße. Und steht immer wieder auf.«
     
     
    Ich höre es.
    Ich sehe es.
     
     
    Seine Beine geben nach.
    Seine Hosen schaben im Staub.
    Dort kniet er, mit erdbefleckten Knien und einem herabfallenden Herzen.
    Es schlägt neben ihm auf dem Boden auf und …
    Schlägt. Schlägt.
    Schlägt.
    Es weigert sich zu sterben oder zu erkalten, findet immer wieder seinen Weg zurück in Marvs Körper. Aber irgendwann, da bin ich mir sicher, wird es unterliegen.
     
     
    »Fünfzigtausend«, sagt Marv zu mir. »Bei fünfzigtausend höre ich auf. Am Anfang waren es zehn, dann zwanzig, aber ich konnte nicht aufhören.«
    »Du zahlst deine Schuld ab.«
    »Stimmt.« Er versucht ein paarmal, den Wagen anzulassen, und schließlich gelingt es ihm, und wir fahren los. »Aber es ist nicht das Geld, das mich wieder auf die Spur bringen würde.« Mitten auf der Straße bleibt er stehen. Die Reifen quietschen und die Bremsen qualmen. Marvs Gesicht lodert. »Ich will das Kind berühren...«
    »Das musst du.«
    »Es gibt unzählige Möglichkeiten«, sagt er.

    »Aber nur eine einzige...«, erwidere ich.
    Marv nickt.
     
     
    Als er mich zu Hause absetzt, ist die Nacht kalt geworden.
    »He, Marv«, sage ich, bevor ich aussteige.
    Er schaut in mich hinein.
    »Ich komme mit.«
    Seine Augen schließen sich.
    Er will etwas sagen, aber er kann nicht. Vielleicht ist es besser so.

8
    Einander
    Morgen ist der Tag.
    Als ich ins Haus komme, gehe ich sofort ins Wohnzimmer und setze mich dort völlig erschöpft aufs Sofa. Kaum fünf Minuten später ruft Marv an und gibt mir Bescheid. Er sagt nicht einmal Hallo.
    »Wir fahren morgen.«
    »Gegen sechs?«
    »Ich hol dich ab.«
    »Nein«, wehre ich ab. »Ich fahre dich im Taxi hin.«
    »Gute Idee. Wenn ich Prügel beziehe, ist es womöglich praktisch, einen Wagen zu haben, der gleich beim ersten Mal anspringt.«
     
     
    Der Moment kommt und wir fahren um sechs Uhr los. Es ist fast sieben, als wir in Auburn ankommen. Die Straßen sind ziemlich voll.

    »Ich hoffe, dass das Kind noch wach ist«, sage ich.
    Marv gibt keine Antwort.
     
     
    Als ich vor der Nummer 17 in der Cabramatta Road anhalte, kann ich nicht umhin zu bemerken, dass es genauso ein Drecksloch ist wie das Haus, in dem die Boyds früher gewohnt haben. Wir stehen auf der anderen Straßenseite, wie ich es mir im Zuge der Aufgaben, die mir die Karten gestellt haben, angewöhnt habe.
    Marv schaut auf die Uhr.
    »Ich gehe um fünf nach sieben rein.«
    Fünf nach sieben geht vorbei.
    »Okay. Zehn nach sieben.«
    »Lass dir Zeit, Marv.«
     
     
    Um 19.46 Uhr steigt Marv aus

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