Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
Mehr sagte die Wirtin nicht. Neben ihr standen der Bürgermeister und der Dorfarzt Weber.
    Instinktiv griff Körner unter die Achsel, doch nachdem er im Braunen Fünfender in den Pullover geschlüpft war, hatte er das Schulterholster nicht wieder angelegt.
    »Nervös, Körner?«, fragte Weißmann.
    Dieser aufgeblasene Idiot war ihm schon die ganze Zeit ein Dorn im Auge. Er würde ihn zur Strecke bringen, am liebsten noch heute Abend, doch dann erinnerte er sich an Philipps Worte. Nicht sie selbst sollten die Nerven verlieren, sondern die Dorfbewohner.
    »Sie wirken gereizt, Körner. Ich würde mich ausruhen, statt während der Nacht durch den Ort zu laufen. Denken Sie daran, was mit Ihrem Kollegen passiert ist.«
    Dieser Idiot! Körner bemühte sich um eine ruhige Stimme. »Dafür, dass Sie mit Ihren Schutzmaßnahmen gegen das Hochwasser so viel um die Ohren haben, schleichen sie mir auffällig oft hinterher und machen sich rührende Sorgen um uns. Wovor haben Sie Angst?«
    Der Bürgermeister antwortete nicht. Körner blickte zum Arzt. »Ihre Praxis ist für heute Abend schon geschlossen? Ich dachte, Sie hätten so viel zu tun.«
    »Ihr Zynismus beeindruckt niemanden«, sagte Weber kühl.
    »Die Benachrichtigung von der Staatsanwaltschaft wird Sie vielleicht mehr beeindrucken.« Körner schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete den Dreien in die Augen. Weber schirmte seine Augen mit der Hand ab, und Stoißer und der Bürgermeister wandten die Köpfe zur Seite. Für einen Augenblick sah Körner, wie sich ihre Pupillen wie die einer Katze zusammenzogen.
    »In der Zwischenzeit werde ich Ihr kleines Geheimnis herausfinden.« Er drängte sich zwischen ihnen hindurch und marschierte über den Platz.
    »Schönen Abend noch, Leute.« Philipp folgte ihm.
    Stoißer, Weber und Weißmann blieben unter dem Vordach der Diskothek stehen. Körner fühlte, wie sich ihre Blicke in seinen Rücken bohrten. Er kochte innerlich vor Wut.
    »Das war ziemlich blöd von dir«, raunte ihm Philipp zu.
    Scheiße, ja, das wusste er! Er hätte den Mund halten und den Dummen spielen sollen. Oh, guten Abend, so ein Zufall, was führt Sie her? Doch diese Rolle hätten ihm die drei ohnehin nicht abgenommen - nicht nach dem, was bisher passiert war. Der Konflikt zwischen dem Ermittlerteam und den Dorfbewohnern lag mittlerweile offen auf der Hand, obwohl er eigentlich schon von Beginn an festgestanden hatte. Niemand aus dem Ort hatte sich um eine ehrliche Zusammenarbeit bemüht, und die Ermittler waren von Anfang an wie ein Fremdkörper im Ort aufgenommen worden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Psychokrieg zu einer offenen Auseinandersetzung eskalieren würde. Körner wusste, dass er ohne Unterstützung von außen gegen einen ganzen Ort keine Chance hatte. Doch mit Rolf Philipp an seiner Seite sollten ihn die Einheimischen besser nicht unterschätzen. Gemeinsam würden sie die Bewohner von Grein in die Knie zwingen. Nichts würde mehr vertuscht werden, so wie die alten Geschichten von damals: Der kleine Daniel in den Mädchenkleidern, die zweimal von ihrem eigenen Vater geschwängerte Leni, oder Anna, die ihr Kind zwischen Ackerfurchen zur Welt gebracht hatte, die alte Greißlerin Liesbeth, die tagelang mit der mumifizierten Kinderleiche in den Armen durch den Ort gelaufen war … oder die auf bestialische Weise ermordeten Kinder der Krajniks. Nichts sollte mehr unter den Teppich gekehrt werden, dafür würde er sorgen! Die Verantwortlichen konnten jetzt schon ihre Zahnbürsten einpacken und sich für einen mehrjährigen Aufenthalt in einer engen Zelle mit Ausblick auf den asphaltierten Knasthof bereitmachen.
    Immer mehr Zorn stieg in ihm hoch. Als er mit Philipp zu dem Krämerladen marschierte, war es halb acht Uhr abends und der blutrote Vollmond kletterte über die Dächer. Die Straßenbeleuchtung funktionierte noch immer nicht. Körner blickte in die Seitengasse neben dem Geschäft, wo er in der Dämmerung die gebückten Silhouetten der Dorfbewohner sah. Sie schleppten Sandsäcke vor ihre Häuser und verbarrikadierten meterhoch Fenster und Türen. Die Leute wollten ihre Häuser einfach nicht verlassen, so als ob sie retten könnten, was nicht zu retten war.
    Philipp legte die Hand auf die Klinke. »Abgeschlossen«, stellte er fest. Das Rollo der Eingangstür war heruntergelassen. Hinter dem Fenster brannte kein Licht, bloß ein Schild hing in der Auslage: Ausverkauft!
    Körner lehnte sich an die Tür. »Wir sind bei einem Lokalaugenschein

Weitere Kostenlose Bücher