Der Judas-Schrein
sollten die Zeit nutzen. Wo fangen wir an?«
Körner atmete auf. »Ich habe eine Verdächtigen-Gruppe im Visier, die immer konkretere Formen annimmt. Zunächst mussten der Dorfarzt, der Totengräber, der Gendarm und Sabine Krajniks Eltern den Mord an Carina und Mathias vertuscht und für eine reibungslose Beerdigung gesorgt haben. Andernfalls hätten die Kinder mit diesen Wunden im Rücken unmöglich im Sarg verschwinden können. Pater Sahms und der alte Gehrer sind ebenso verdächtig, da die Geschwister laut Totenschein in der Kirche und im Laden gestorben sind.« Körner zählte die einzelnen Personen an der Hand auf. »Die Gemeindebedienstete Frau Lusack hat eventuell die Geburtsdaten auf den Totenscheinen retuschiert, denn drei Tode am jeweils vierzehnten Geburtstag der Opfer sind allzu verdächtig. Und zuletzt hielt mich der Bürgermeister auf, als ich gestern Nacht über den Platz lief, während die Wirtin höchstwahrscheinlich Basedovs Leiche im Keller verschwinden ließ.«
»Und anschließend das Blut vom Boden scheuerte!« Philipps Blick hellte sich auf. »Hol mich der Teufel, so könnte es gewesen sein. Außerdem stammte die Platzdecke in Sabine Krajniks Mund aus dem Braunen Fünfender.« Nachdenklich ließ er den Pfeifenstiel von einem Mundwinkel in den anderen wandern. »Zehn Leute, ich fasse es nicht. Das klingt nach einem vollen Programm.«
»Berger hat die Alibis sämtlicher Beteiligten miteinander verglichen«, sagte Körner. »Und jetzt rate mal! Die Alibis sind miteinander verkettet.« Wieder zählte Körner die Punkte an der Hand auf. »Die Krajniks waren am Montag um acht Uhr früh in Doktor Webers Arztpraxis, um sich eine Tetanus-Impfung geben zu lassen. Zur gleichen Zeit tranken Frau Lusack und Hans Apfler, der Totengräber, im Gemeindeamt eine Tasse Kaffee. Und Waltraud Stoißer bezeugt, dass der Bürgermeister zur Tatzeit mit dem Gendarmen und dem Chef der Feuerwehr im Braunen Fünfender zum Frühstück ihre Hochwasserbesprechung abhielten.«
Körner verstummte und dachte über das eben Gesagte nach.
Einzig Wolfgang Heck, der Feuerwehrboss, passte nicht in diese Theorie, denn wenn diese Vermutung von den zehn Tätern zutraf, dann hatte er plötzlich einen Verdächtigen mehr. Steckte etwa sein ehemaliger Schulkamerad in dieser Sache mit drin?
»Was hast du?« Philipp griff nach Körners Schulter.
»Nichts.« Er schüttelte die Hand ab. »Zuerst schnappe ich mir Weber, ich werde den Kerl zum Reden bringen.«
»Willst du ein Geständnis aus ihm rausprügeln?«
»Hauser hat mir versprochen, dem Doktor einen schriftlichen Haftbefehl zuzustellen, und dann habe ich ihn an den Eiern.«
»Ja, ihn!«, schnaubte Philipp. »Und die anderen?«
»Ich hole sie mir der Reihe nach. Zuerst bringe ich Gehrer zum Reden, danach die Wirtin und den Pfarrer. Spätestens morgen Früh bin ich hinter ihr gottverfluchtes Geheimnis gekommen.«
»Alex, du verlierst die Nerven!«, mahnte Philipp ihn.
Körner starrte in den Regen. »Ich mische die gesamte Sippe auf, glaube mir, und dann lasse ich einen nach dem anderen verhaften!«
Philipp kam auf Tuchfühlung heran. Körner roch den Tabakqualm und spürte den Alkohol in Philipps Atem, während der Spurensicherer mit eindringlicher Stimme auf ihn einredete. »Wenn du sie jetzt als Verdächtige in Haft nimmst, bekommst du kein Geständnis aus ihnen heraus - aus keinem einzigen! Die halten zusammen wie Pech und Schwefel. Binnen kürzester Zeit haben die sich abgesprochen und lassen dich gegen die Wand laufen. Da hast du keine Chance!«
»Du hast ja keine Ahnung!«, fauchte Körner.
»Du wolltest meine Hilfe? Dann machen wir es auf meine Art.«
Körner sah ihn missmutig an. »Du willst die Sache ruhig angehen lassen … Scheiß drauf, ich habe keine Zeit dafür! Bald ist die Sache mit der Suspendierung raus!«
Philipp packte ihn wieder an der Schulter. »Hör zu!«, sagte er eindringlich. »Warum willst du den Dorfbewohnern dein Wissen preisgeben? Lass sie noch einen Tag schmoren. Einen Tag! Beobachten wir sie. Je mehr Fakten wir über sie haben, desto mehr bringen wir sie zum Schwitzen. Alex, nicht wir verlieren die Nerven! Die müssen die Nerven verlieren, dann machen sie Fehler. Einen einzigen Tag! Hast du das kapiert?«
Körner nickte widerstrebend.
»Gut.« Philipp ließ ihn los. Er zog Basedovs Digitalkamera aus der Hosentasche und klopfte mit dem Pfeifenstiel auf das Gehäuse. »In der Zwischenzeit sehe ich mir die Fotos an.«
Körner starrte auf die
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