Der Judas-Schrein
danach aus, als würden elektromagnetische Felder das Licht krümmen«, vermutete Philipp. »Auf allen Fotos ist es die gleiche Stelle an der Wand. So etwas habe ich noch nie gesehen!«
»Basedov vermutlich auch nicht, andernfalls wäre er von diesem Phänomen nicht so fasziniert gewesen.« Körner lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Was sollten sie mit diesen Bildern anfangen? Er hatte sich eine spektakulärere Enthüllung als fotografierte Lichtblitze erhofft. Körner erinnerte sich an das Letzte, das er von dem Fotografen gehört hatte. Du musst dich nicht beeilen. Ich möchte mir vorher noch den … den was ansehen?
Körner ließ den Blick über Basedovs Arbeitsplatz gleiten. Jede Menge Schnellhefter und Papierblöcke lagen durcheinander auf dem Tisch. Er beugte sich nach vorne und schob die Schnellhefter auseinander. Aus der ersten Mappe, die er aufschlug, fielen ihm zwei Zettel entgegen. Die Totenscheine von Carina und Mathias Krajnik. Berger musste ihm die Kopien gegeben haben. Mit einem roten Kugelschreiber waren die Fundorte der Leichen eingekreist worden: Die Toilette im Krämerladen und die dritte Bankreihe im linken Kirchenschiff. Daneben war mit roter Kugelschreibertinte eine Notiz gekritzelt: Prüfen! Es war Basedovs Schrift.
»Schau doch!« Körner blätterte in den Unterlagen. Ein Lageplan von Grein kam zum Vorschein. Es war jene provisorische Karte, die er mit Berger am Montagabend in seinem Büro aus den Faxpapieren des Neunkirchener Bauamtsleiters zusammengeklebt hatte. »Basedov hat unsere Unterlagen studiert.« Körner faltete die Karte auseinander. Darauf befanden sich die eingezeichneten Wege, womit er und die Kriminalpsychologin die Zeitabfolge von Sabine Krajniks Tod rekonstruieren wollten. Doch das Papier zeigte Kritzeleien mit roter Tinte.
Körner deutete auf drei rote Linien. »Basedov hat die Gaslight Bar, die Kirche und den Krämerladen miteinander verbunden.«
»Die Tatorte der Krajnikmorde.«
Sie starrten auf das rote Dreieck, das mitten auf dem Dorfplatz prangte. Die längste Linie verlief mitten durch den Dorfbrunnen.
»Ich hab’s!« Körner sprang vom Stuhl auf. »Ich möchte mir vorher noch den Lebensmittelladen ansehen.« Er pochte mit dem Finger auf die Karte. »Das war es, was er mir sagen wollte, als er mich gestern Abend anrief. Der Krämerladen!«
Plötzlich sah Körner die Zusammenhänge klar vor sich, und alles ergab einen Sinn. »Er hat Jana darum gebeten, dass Gehrer den Laden nicht absperrt. Der Alte sollte das Geschäft für ihn offen lassen.« Er kramte in den Papieren, bis er Mathias Krajniks Totenschein fand. »Wir waren auf dem Holzweg, Basedov wollte gar nicht einkaufen. Wie es scheint, wollte er die beiden anderen Tatorte untersuchen. Offensichtlich wollte er die Toilette im Krämerladen fotografieren.«
Körner schlüpfte in den Regenmantel. »Komm! Auf dem Hauptplatz verbirgt sich Etwas. Finden wir heraus, was es ist!«
Körner kniete in der Tanzbar vor der Wand neben dem Eisengestell und tastete die einzelnen Holzbretter ab. Neben ihm stand Philipp mit der Stabtaschenlampe.
»Alles führt immer wieder an diesen Ort zurück«, murmelte Körner. »Wenn ich nur wüsste, was es ist, wonach wir suchen.«
Philipp ließ die Lampe kreisen.
»Da ist es! Halt still!« Körner presste den Finger in die Wand. »Eine weiche Stelle, sie gibt nach.«
»Im Holz?« Philipp kniete sich neben Körner und strich mit der Hand über die Wand. »Merkwürdig.«
»Siehst du das Licht?« Körner nahm die Lampe und führte sie näher zum Holz. »Es krümmt sich in einem Bogen um diese Stelle.«
»Magnetismus vielleicht.«
Plötzlich sahen beide auf und starrten zum Fenster. »Hast du das auch bemerkt?«, flüsterte Körner.
Der Spurensicherer nickte. Am Fenster war ein Schatten vorbeigehuscht. »Draußen ist etwas«, brummte Philipp. »Licht aus!«
Körner knipste die Lampe aus. Sie lauschten. Deutlich hörten sie das Schaben, als schleiche jemand um das Gebäude. Ein neuerlicher Schatten wischte am Fenster vorbei.
»Gehen wir!« Körner erhob sich. »Sehen wir uns die anderen Tatorte an.«
Ohne das Licht anzudrehen durchquerten sie die Diskothek. Draußen war es bereits dunkel geworden. Als sie die Tür zum Hauptplatz aufstießen, versperrten ihnen die Umrisse dreier Personen den Weg. Körner zuckte zurück.
»Ich würde das an Ihrer Stelle lassen.« Waltraud Stoißer stemmte die Arme in die Hüften. »Es wehrt sich.«
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