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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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vorspringenden Tabernakel, auf dem die Figur des Erzengels Michael in Lebensgröße thronte. Dahinter führte eine Tür in die Sakristei. Durch die bunten Mosaikfenster sah Körner den Pfarrhof mit den Weiden, die sich im Wind bogen. Hinter den Bäumen befand sich der Trakt, der zum Pfarrhaus von Pater Sahms führte.
    Körner konnte sich die in dem Tagebuch beschriebenen Erlebnisse des Messdieners bildhaft vorstellen, doch im Moment hatte er keine Zeit für derartige Phantastereien. Er machte seine Gedanken von allen Hirngespinsten frei und trat auf den Pfarrer zu, der mit dem Rücken zu ihnen vor dem Altar stand. Er drehte sich mit ausgebreiteten Armen um, als habe er sie erwartet.
    Kaum zu glauben, dachte Körner. Es war tatsächlich Pater Sahms, steinalt, mit tiefen Furchen im Gesicht. Wer hätte damals gedacht, dass der Pfarrer bis zum heutigen Tag seinen Dienst in der Kirche verrichten würde? Noch bevor Körner ein Wort sagen konnte, holperte und rumorte der Boden unter ihren Füßen.
    »Hoppla!« Philipp taumelte einen Schritt zurück.
    »Die Kanalisation ist völlig überlastet«, erklärte Pater Sahms gelassen. »Das Wasser drückt von unten die Rohrleitungen gegen die Straßen und die Fundamente der Häuser.« Theatralisch hob er die Arme. »Die Schleusen des Himmels öffnen sich, die Quellen der Tiefe brechen aus der Erde hervor.« Er lächelte. »Die Kirche ist davon nicht ausgenommen. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Carina Krajnik starb im Oktober vor zwei Jahren während der Messe in Ihrer Kirche«, begann Körner ohne Umschweife. »Können Sie uns den Platz zeigen?«
    Der Pater senkte den Blick. »Folgen Sie mir.« Er führte sie zur vierten Bankreihe im linken Kirchenschiff, jener Stelle, die Körner bereits aus dem Totenschein kannte.
    »Sie saß hier am Rand, neben ihrer Mutter.« Der Pater deutete auf den Eckplatz der Bank. »Aber ich weiß wirklich nicht, was das mit Ihrer Arbeit zu tun haben soll.«
    »Schon gut.« Philipp hob abwehrend die Hand. »Wir wissen, wonach wir zu suchen haben.« Er wandte sich an Körner. »Es war die dritte Reihe, nicht wahr?«
    »Gut aufgepasst!« Körner nickte. Hatte sie der Pater absichtlich angelogen oder ließ bloß sein Gedächtnis nach?
    Philipp ging eine Reihe weiter vor, kniete sich auf den Boden und rutschte zwischen die Sitzbänke. Körner knipste die Taschenlampe an und leuchtete damit die Rückenlehne ab. Er bemerkte wie Sahms den Atem anhielt.
    »Leuchte noch einmal dahin!« Philipp presste den Zeigefinger an eine Stelle im Holz, die sich fünfzehn Zentimeter über der Sitzfläche befand.
    Körner konzentrierte den Lichtstrahl darauf.
    »Siehst du, wie sich die Stelle verändert, wenn du voll draufleuchtest?« Philipp bohrte den Finger in das Holz. »Es ist weich und warm.«
    Unter ihnen grollte der Boden. Philipp fuhr auf und machte einen Satz aus der Bankreihe.
    »Nur die Leitungen.« Der Pater hob die Schultern.
    Philipp wischte sich die Haare aus der Stirn. »Was ist das?« Er zeigte auf die Rückenlehne.
    Der Pater lächelte. »Das Holz ist speckig und morsch. Jahrelang hat es durch die Decke geregnet. Sie können sich ausrechnen wie intakt die Einrichtung ist!«
    Körner sah das Flackern in den Augen des Paters, obwohl Sahms versuchte, einen gleichgültigen Gesichtsausdruck zu bewahren. Die Darbietung war nicht überzeugend genug. An diesem Ort war ein Mädchen bestialisch ermordet worden, vor den Augen Dutzender Dorfbewohner. Mittlerweile hatte er zehn Verdächtige! War er bloß paranoid oder war an seiner Vermutung etwas dran? Jedenfalls brauchte er dringend Haftbefehle für den Dorfpfarrer und den Lebensmittelhändler Gehrer. Aber ihre Akkus waren leer und die Handys genauso tot wie das Telefonnetz. Außerdem hatte der Staatsanwalt mittierweile bestimmt vom Ableben des Geiselnehmers erfahren, von Körners Verfahren wegen Totschlags und seiner Suspendierung. Hauser würde ihm nicht einmal einen Parkschein ausstellen, geschweige denn Haftbefehle. Er brauchte also handfeste Beweise!
    »Ich nehme an, Sie haben gefunden, wonach Sie suchten. Ich möchte Sie nun bitten, die Kirche zu verlassen. Die Messe ist vorüber und ich habe noch einiges zu tun.« Pater Sahms deutete höflich zum Ausgang.
    »Eine Frage noch.« Körner kniete sich nieder und tastete um den Holzsockel der Bank. Er dachte an das Tagebuch des Messdieners, worin eine Gruft und ein Gewölbe erwähnt wurden. Mit den Knöcheln pochte er auf den Steinboden. »Was befindet sich

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