Der Judas-Schrein
zwinkerte dem Feuerwehrmann zu, der ihm zornig nachstarrte.
»Puuuh, was für ein Wetter!« Frau Lusack fuhr sich durchs Haar und richtete ihre Frisur.
Im Korridor brannte kein Licht. Die Wände waren feucht und aus den Kupplungen des Feuerwehrschlauchs, der sich über den Fliesenboden schlängelte, sickerte das Wasser. Die Beamtin watete mit vorsichtigen Schritten um die Lachen herum. Am Ende des Gangs stand ein Kopiergerät, daneben befand sich eine grün gestrichene Metalltür mit der Aufschrift: Archiv.
»Aus Platzmangel haben wir die Unterlagen in den Keller gestapelt«, erzählte sie. »Als nebenan die neuen Büros gebaut wurden, benutzten wir den Keller weiterhin als Abstellraum. Mittlerweile ist die alte Gemeinde zu einem kompletten Archiv umgebaut worden. Aber das wonach Sie suchen befindet sich immer noch im Keller.«
Sie schloss die Tür auf. Eine Holztreppe führte in die Dunkelheit, aus der ihnen ein brackiger Geruch entgegenschlug. Frau Lusack knipste eine nackte Glühlampe an, die an einem langen Kabel von der Decke hing.
»Oh, es ist noch schlimmer als ich dachte.«
Das Wasser im Kellerabteil reichte bis zum Ansatz der zweiten Stufe. Die Bücher in der untersten Regalreihe standen halb im Grundwasser. Körner schätzte, dass es etwas mehr als knöcheltief war. Frau Lusack machte keine Anstalten, die Dokumente zu retten.
»Sie lassen das so?«, fragte Körner erstaunt.
»Ach was.« Sie machte eine wegwerfende Geste. »Die historischen Dokumente über die Dorfgeschichte wurden bereits vor langer Zeit zerstört, wir haben nämlich alle zehn Jahre ein Hochwasser.« Sie nickte in den Keller. »In den Hochregalen stapeln sich bloß die gebundenen Ausgaben des Dorfanzeigers, dafür interessiert sich kein Mensch. Die aktuellen Jahre finden Sie oben, die alten unten. Ich schätze, 1937 liegt in der Mitte.«
Er bedankte sich.
»Ich bin drüben im Büro. Sie haben bis sechs Uhr Zeit.«
Körner lehnte sich an den Türstock und wartete bis sie durch die Tür ins Freie verschwunden war. Endlich allein! Er starrte auf das Kopiergerät. Einer plötzlichen Eingebung folgend öffnete er den Deckel. Das Gerät war ausgeschaltet, sein Gesicht spiegelte sich in der dunklen Glasplatte. Berger hatte ihm gestern Abend erzählt, dass Frau Lusack ihr Kopien der beiden Totenscheine gemacht hatte, auf der die Geburtsdaten der Kinder ausgelackt worden waren. Waren die Dokumente hier kopiert worden? Er strich mit dem Finger über die Glasplatte des Kopiergeräts. War es bloß ein Zufall, dass ausgerechnet hier eingetrocknete Spuren von Tipp-Ex auf der Kopierfläche klebten? Handelte es sich lediglich um eine unbedeutende Übereinstimmung oder hatte Frau Lusack tatsächlich die Geburtsdaten auf den Dokumenten verschwinden lassen? Und falls ja: Warum? Es hatte wohl keinen Sinn, Philipp auf diese Spur anzusetzen. Einzig ein Verhör von Frau Lusack würde Licht in die Sache bringen, doch das konnte warten.
Er stieg die Treppe hinunter. Das Kellerabteil erinnerte nicht gerade an ein komplett umgebautes Archiv, wie die Gemeindebedienstete behauptet hatte. Hier wurden offensichtlich jene Unterlagen gestapelt, die niemand brauchte. Die an der Metalltür angebrachte Bezeichnung Archiv spottete den Tatsachen. Rostiges Wasser war von der Decke über die Glühlampe gelaufen und verlieh dem Raum eine düstere, dunkelrote Atmosphäre. Blanke Drähte verliefen entlang der kahlen Ziegelwände, der Sicherungskasten surrte wie eine fette Hummel, und die Glühlampe flackerte als wolle die Wolframwendel jeden Augenblick zerspringen.
Als Körner am Ende der Treppe stand, sah er, dass Holzpaletten im Wasser lagen, die den gesamten Boden bedeckten. Vermutlich stammten sie noch vom letzten Hochwasser, und die Gemeindearbeiter hatten vergessen, sie rauszuschaffen. Vorsichtig stieg er auf die erste Holzsprosse. Das braune Wasser schwappte unter seinen Füßen davon, Luftblasen stiegen auf und zerplatzten mit einem schmatzenden Geräusch. Mehr denn je roch das Wasser nach Kloake. So hatte er sich historische Recherchen immer vorgestellt! Er war erst einmal in die Abwasserkanäle Wiens gestiegen, um den Fundort einer Leiche zu inspizieren. Dort war es ähnlich düster gewesen. Viel fehlte nicht, dass er glaubte, durch eine Jauchengrube zu waten.
In dem Hochregal, das ihm Frau Lusack gezeigt hatte, befanden sich tatsächlich die Ausgaben des Dorfanzeigers, jenes Greiner und Heidenhofer Gemeindekuriers, zu dicken Jahresausgaben gebunden. Er zog
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