Der Judas-Schrein
Gemeindesaal roch es nach Pizzaresten und Philipps Pfeife. Kein Wunder, dass sich seine Kopfschmerzen zurückmeldeten. »Machen wir eine Pause«, schlug er vor.
»Moment noch.« Berger blätterte in Sabine Krajniks Tagebuch. »Jetzt, wo Martin Goisser tot ist, könnten uns Sabines Notizen über ihn vielleicht einen Hinweis auf den Mörder oder zumindest das Motiv geben. Hören Sie sich das an … Ich brauche erst gar nicht zu ihm nach Hause zu gehen. Wie immer lehnt sein Rad neben dem Eingang zur alten Gemeinde. Ich hätte wetten können, dass er wieder in den vergammelten Schwarten schmökert. Wie kann man sich nur so fanatisch in die Dorfchronik vertiefen? Ein Buch über Wien vor hundert Jahren wäre ja noch okay - aber nicht über Grein! Hätte er nicht so ein ödes Hobby, wäre er echt süß.«
»Das wissen wir doch alles«, stöhnte Körner.
»Warten Sie ab! Diesen einen Satz noch … doch geht mir der ganze Quark sonst wohin. Wen juckt schon, was vor sechzig oder hundertvierzig Jahren in diesem Kaff los war?«
»Ach, kommen Sie«, unterbrach Körner sie. »An dem Jungen ist ein Historiker verloren gegangen. Ich …«
»Außerdem muss man schon extrem abgedreht sein, um sich so eifrig für die Bergwerkskatastrophe und den M… hm … am Dorfpfarrer zu interessieren! Könnte Mord heißen.« Sie klappte das Buch zu.
»Mord am Dorfpfarrer?«, wiederholte er.
»So steht es hier drinnen.« Sie pochte auf das Tagebuch.
»Jetzt, wo ihr darüber redet«, murmelte Basedov. »Auf dem PC des Jungen befinden sich jede Menge Worddateien, mit Namen wie Kirche, Pfarrer, Bergwerk, und Grubenunglück. Es gibt in diesem Verzeichnis auch eine Datei mit Titel Judas-Schrein, was immer das zu bedeuten hat, und eine mit Namen Dorn.«
»Pater Dorn!«, rief Körner. »So hieß ein ehemaliger Pfarrer im Ort.« Plötzlich fiel ihm wieder alles ein. Der Name des Dorfpfarrers, den er gestern an der Eingangspforte der Kirche gesehen hatte, war ihm nicht in den Sinn gekommen. Er hieß Sahms! Pater Sahms hatte schon damals die Messen gehalten, als Körner noch ein Junge gewesen war. Doch viele Jahrzehnte früher hatte ein Pfarrer die Greiner Kirche geleitet, der Pater Dorn genannt wurde.
»Das ist bestimmt schon über hundert Jahre her«, flüsterte Körner.
»Hundertvierzig.« Berger hielt das Tagebuch hoch.
Körner nickte. »Es gab Geschichten über Pater Dorn, doch kann ich mich an keine erinnern. Möglich, dass er ermordet wurde, ich weiß es nicht mehr.« Plötzlich war seine Aufmerksamkeit geweckt. »Was steht in den Dateien?«
»Die haben alle ein Passwort.«
»Vielleicht kommen wir über einen Umweg zum Ziel.« Berger öffnete das Tagebuch und begann zu blättern. »Sabine schreibt ziemlich kryptisch über einen bestimmten Ort, an dem Martin seine Unterlagen versteckt hielt.«
Ein mögliches Motiv schien sich zu formen. Basedov, Sabriski und Philipp rückten näher. Körner ging um den Tisch und blickte ihr über die Schulter.
»Ich hab’s gleich«, murmelte sie. »Da! Ein Versteck, das niemand finden würde, an einem Ort, wo die Schweine geschlachtet werden. Mehr hat er mir nicht erzählt, ich mag es auch gar nicht wissen … Was könnte das bedeuten?«
Ein de-já-vu schoss Körner durch den Kopf. Die Antwort lag ihm auf der Zunge. Ein Ort, an dem die Schweine geschlachtet werden! Es war erst heute Morgen gewesen, erst heute Morgen. Wo verdammt? Wo? Er massierte sich die Schläfen. Wand, es hatte mit einer Wand zu tun. Er sah sie deutlich vor sich.
»Ich hab’s! Ich weiß, wo er seine Unterlagen versteckt hält.«
»Sie meinen doch nicht etwa den Schlachthof der Krajniks?«, zweifelte Berger.
»Sie denken zu kompliziert.« Körner schnappte sich seinen Regenmantel, griff nach dem Autoschlüssel und rannte zur Tun »Ich bin gleich wieder zurück.«
Hermann Goisser hatte nicht gelogen: Die Hintertür zum Haus stand tatsächlich offen. Körner hetzte in das obere Stockwerk zur Dachkammer. An Martins Zimmertür hing immer noch das Poster von Albert Einstein. Der Eingang war mit gelben Bändern verklebt. Er riss die Absperrung herunter und löste die Plombe von der Tür, mit der Philipp den Tatort versiegelt hatte.
Diesmal hing keine Leiche vom Deckenbalken. Es lagen bloß Bücher, Mappen und Ordner am Boden verstreut. Körner hielt sich nicht lange auf. Er ging schnurstracks durch das Zimmer zu dem schwarzen Poster an der Wand. Heiter Skelter von Edge Of Sanity … the pigs must be slaughtered!
Er zog den
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