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Der Jünger

Der Jünger

Titel: Der Jünger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
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Augen von ihr abzuwenden.
    Der Gesichtsausdruck des Mannes ließ January frösteln. Die kaputten Menschen in dieser gottverlassenen Gegend berührten sie tief, und zum ersten Mal in ihrem Leben fragte sie sich, ob es richtig war, an dieser Story dranzubleiben.
    Schnell verdrängte sie ihre Zweifel und erinnerte sich daran, wie weit sie es gebracht hatte – von dem armen Latinomädchen aus Juarez in Mexiko zu der Frau, die sie heute war. Sie hatte viel und hart gearbeitet, um sich das Ansehen und die Glaubwürdigkeit zu erkämpfen, die sie heute besaß. Mit wiedererwachtem Optimismus legte sie den Gang ein und trat heftig aufs Gas. Ihre Reifen quietschten und es roch nach verbranntem Gummi. Sie brauchte nichts weiter als ein heißes Bad und ein bisschen Schlaf, dann wäre wieder alles in Ordnung.
    Kurz bevor sie ihr Apartmenthaus erreicht hatte, raste ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene an ihr vorbei. In einiger Entfernung sah sie vor sich noch ein halbes Dutzend Polizeiautos und fast ebenso viele Rettungswagen.
    Sofort witterte sie die nächste Story und gab etwas mehr Gas. Als sie aber die Unfallstelle passierte, sah sie im Vorbeifahren schon die Nachrichten-Crew ihres Senders. Sicher, sie war ja nicht im Dienst.
    Kevin Wojak stand mit dem Mikrofon in der Hand neben einem Rettungswagen und sprach vor der Kamera ins Mikro, während ihm der Regen ins Gesicht peitschte. January verzog das Gesicht. Er hätte nur ein paar Schritte nach links gehen müssen, um unter einem schützenden Dach zu stehen, aber damit wäre sein Aufritt natürlich nur halb so dramatisch gewesen.
    Wojak sah in January eine Konkurrentin.
    Für January war Wojak nur eine Plage.
    Obwohl sie keine Lust hatte, den Kollegen bei der Arbeit zu beobachten, wurde sie gezwungen, anzuhalten, um dem Notarzt Platz zu machen. Sie sprach ein kurzes Gebet für die Verletzten, die in die umliegenden Krankenhäuser gebracht wurden, und wartete, bis die Straße wieder frei war.
    Während sie dort stand, lief plötzlich ein großer dunkelhaariger Mann aus der Lücke zwischen zwei geparkten Polizeiautos auf die Straße, direkt in die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer hinein – wie kurz zuvor der Bärtige im Vergnügungsviertel. Ihre Reaktion auf diesen Mann war jedoch vollkommen anders. Sie kannte ihn, hatte mit ihm in ihrem Bett gelegen, sich mit ihm auf dem Boden ihres Wohnzimmers geliebt, in der Dusche und einmal in ihrem begehbaren Kleiderschrank – jedenfalls in ihren Träumen. Benjamin North, einer der besten Kriminalbeamten im District of Columbia, wusste nichts davon, aber er verfolgte sie in ihren Träumen mit seinem unwiderstehlichen Blick und dem sexy Lächeln.
    Trotz ihres berufsbedingten Interessenkonfliktes waren sie sich vor einiger Zeit näher gekommen. Viel zu nah.
    Während die Scheibenwischer vor Januarys Augen hin und her schwenkten, dachte sie an die Katastrophe zurück, die sie zusammengebracht hatte …
    An jenem Tag damals hatte es bereits seit Stunden geschneit. Das hatte die Arbeit der Untersuchungsbeamten am Tatort nicht gerade erleichtert, denn der Schnee bedeckte alles, was vielleicht an Spuren hinterlassen worden war. Sämtliche mögliche Hinweise auf den Mörder von Mandy Green waren zugeschneit. Jetzt lag das minderjährige Opfer tot vor ihnen – vergewaltigt und erwürgt. Der Polizeiarzt konnte nicht einmal sagen, in welcher Reihenfolge diese Grausamkeiten passiert waren. Was den Mord an dieser Prostituierten für die Medien so interessant machte, war die Tatsache, dass Mandy Green erst zwölf Jahre alt war. So stand es zumindest in ihrem Personalausweis, den sie in der Handtasche unter dem Arm trug.
    Man hatte Benjamin North mit diesem Fall beauftragt. Doch er wusste bis zu seinem Erscheinen am Tatort nicht, dass es sich bei dem Opfer um ein Kind handelte. Um ein Kind in einem Kunstpelzmantel und kniehohen weißen Stiefeln; mehr hatte es nicht an.
    Als er das Tuch hob, um einen Blick auf die Leiche zu werfen, erstarrte er. Der Kriminalbeamte war zu schockiert, um das Laken wieder loszulassen oder seinen Blick von der Leiche abzuwenden. Die kindlichen Lippen des viel zu jungen Opfers waren mit einem dunkelroten Lippenstift geschminkt, ihre großen blicklosen Augen hatten ein klares, reines Grün. Ihr rotes, gelocktes Haar war nass von dem schneebedeckten Boden, auf dem sie lag. Doch es war der Anblick ihres blassen, unreifen Körpers, der ihn aus der Bahn warf. Statt reifer Brüste sah er nur zwei kindliche Knospen, und das

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