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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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nicht, was mich besorgt machte. Auf jeden Fall nahm ich mir vor, mich nicht auf Debatten einzulassen und nur das Allernotwendigste zu sprechen, so daß niemand daraus über mich irgendwelche Schlüsse ziehen könne; die Hauptsache war: nicht zu debattieren.
    In dem wirklich gar zu kleinen Zimmer befanden sich sieben Menschen, und mit den Damen zehn. Dergatschew war fünfundzwanzig Jahre alt und verheiratet. Seine Frau hatte eine Schwester und noch eine andere Verwandte; auch diese beiden wohnten bei Dergatschew. Das Zimmer war zwar etwas dürftig möbliert, aber doch ausreichend, und es war sogar sauber. An der Wand hing ein lithographiertes Porträt von sehr billiger Sorte und in der Ecke ein Heiligenbild ohne metallene Einfassung, aber mit einem brennenden Lämpchen davor. Dergatschew trat auf mich zu, drückte mir die Hand und bat mich, Platz zu nehmen.
    »Setzen Sie sich, wir sind hier lauter gute Bekannte.«
    »Seien Sie so freundlich!« fügte sofort eine recht hübsche, sehr bescheiden gekleidete junge Frau hinzu und ging dann mit einer leichten Verbeugung zu mir hin sogleich hinaus. Dies war seine Frau; wie es schien, hatte sie sich an der Debatte beteiligt und ging jetzt hinaus, um ihr Kind zu nähren. Es blieben aber noch zwei Damen im Zimmer – die eine etwa zwanzigjährig, von sehr kleinem Wuchs, ebenfalls nicht häßlich, in schwarzem Kleid; die andere ungefähr dreißig Jahre alt, mager und mit scharfblickenden Augen. Beide saßen da, hörten eifrig zu, redeten aber nicht selbst mit.
    Was die Männer anlangt, so standen sie sämtlich; es saßen außer mir nur Krafft und Wassin; diese beiden hatte mir Jefim sogleich gezeigt, da ich auch Krafft jetzt zum erstenmal im Leben sah. Ich stand auf und trat zu ihm heran, um mich mit ihm bekannt zu machen. Sein Gesicht werde ich nie vergessen: es wies keine besondere Schönheit auf, aber es lag darin außerordentlich viel Sanftmut und Zartgefühl, obgleich auch das Bewußtsein des eigenen Wertes darin stark zum Ausdruck kam. Er war sechsundzwanzig Jahre alt, ziemlich hager, etwas mehr als mittelgroß, hatte helles Haar und ein ernsthaftes, aber weiches Gesicht; eineeigentümliche Stille lag in seinem ganzen Wesen. Hätte ich aber die Wahl gehabt, so hätte ich doch mein vielleicht sehr gewöhnliches Gesicht nicht mit seinem Gesicht, das mir so interessant schien, vertauschen wollen. Es lag in seinem Gesicht etwas, was ich in meinem nicht hätte haben mögen, etwas gar zu Ruhiges in geistigem Sinne, eine Art von geheimem, unbewußtem Stolz. Übrigens kann ich wahrscheinlich damals nicht buchstäblich so geurteilt haben; es scheint mir jetzt nur so, daß ich damals so urteilte, jetzt, das heißt nach dem Ereignis.
    »Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind«, sagte Krafft. »Ich habe einen Brief, der Sie angeht. Wir wollen hier noch ein Weilchen sitzen, und dann lassen Sie uns zu mir gehen.«
    Dergatschew war von mittlerer Größe, breitschultrig, kräftig, brünett und trug einen großen Bart; in seinem Blick lag eine schnelle Auffassungsgabe und in seinem ganzen Wesen eine große Zurückhaltung, eine gewisse stete Behutsamkeit; obgleich er meist schwieg, war er doch offenbar derjenige, der das Gespräch leitete. Wassins Physiognomie machte mir keinen starken Eindruck, obgleich ich über ihn gehört hatte, daß er ein außerordentlich kluger Mensch sei: er war blond, hatte große, hellgraue Augen, ein sehr offenes Gesicht, in dem aber gleichzeitig eine außerordentliche Festigkeit ausgeprägt war; man konnte sich vorher sagen, daß er wohl sehr wenig mitteilsam war, aber sein Blick war klug, klüger als der Dergatschews, tiefer und klüger als der aller im Zimmer Anwesenden; indes übertreibe ich vielleicht jetzt alles. Von den übrigen erinnere ich mich nur noch an zwei Persönlichkeiten aus dieser ganzen jugendlichen Gesellschaft: der eine war ein hochgewachsener Mann mit bräunlichem Teint und schwarzem Backenbart; er redete viel, mochte etwa siebenundzwanzig Jahre alt sein und war wohl Lehrer oder so etwas Ähnliches, und dann war da noch ein junger Bursche in meinem Alter, in einem altrussischen Überrock, mit faltigem Gesicht; er verhielt sich schweigsam und hörte nur zu. Später erfuhr ich, daß er ein Bauer war.
    »Nein, das darf man nicht behaupten«, begann, offenbar in Fortsetzung der vorherigen Debatte, der Lehrer mit demschwarzen Backenbart, der hitzigste von allen. »Von mathematisch zwingenden Beweisen will ich gar nicht reden, aber diese

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