Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
für mich außerordentlich wichtigen Herrn Krafft mitzuteilen, sobald dieser aus Wilna zurückgekehrt sein würde. Swerjew erwartete ihn gerade an jenem oder am folgenden Tag, was er mich vor zwei Tagen hatte wissen lassen. Ich mußte nach der Petersburger Seite gehen, verspürte aber keine Müdigkeit.
    Swerjew (er war ebenfalls neunzehn Jahre alt) traf ichauf dem Hof des Hauses seiner Tante, bei der er zur Zeit wohnte. Er hatte soeben zu Mittag gegessen und ging im Hof auf Stelzen; er teilte mir sofort mit, daß Krafft schon gestern angekommen und in seiner früheren Wohnung, eben dort auf der Petersburger Seite abgestiegen sei und selbst lebhaft wünsche, so bald wie möglich mit mir zusammenzukommen, um mir eine wichtige Mitteilung zu machen.
    »Er muß wieder anderswohin reisen«, fügte Jefim hinzu.
    Da eine Zusammenkunft mit Krafft unter den vorliegenden Umständen für mich von allergrößter Wichtigkeit war, bat ich Jefim, mich sogleich nach dessen Wohnung zu führen, die seiner Angabe nach nur ein paar Schritte entfernt in einer Seitengasse lag. Aber Swerjew erklärte, er habe Krafft schon vor einer Stunde gesprochen und dieser sei zu Dergatschew gegangen.
    »Gehen wir also zu Dergatschew; warum sträubst du dich immer dagegen; hast du Angst?«
    In der Tat, es war möglich, daß Krafft sich bei Dergatschew sehr lange aufhielt, und wo sollte ich dann auf ihn warten? Vor einem Besuch bei Dergatschew hatte ich keine Angst, aber ich mochte nicht hingehen, obgleich dies schon das dritte Mal war, daß Jefim mich hinschleppen wollte. Und dabei begleitete er seine Frage: »Hast du Angst?« immer mit einem unangenehmen spöttischen Lächeln. Meinerseits lag, wie ich im voraus bemerke, keine Feigheit vor, und wenn ich mich davor fürchtete, so hatte das einen ganz andern Grund. Diesmal jedoch entschloß ich mich hinzugehen; es war ebenfalls nur ein paar Schritte weit entfernt. Unterwegs fragte ich Jefim, ob er immer noch an der Absicht, nach Amerika zu gehen, festhalte.
    »Vielleicht warte ich damit noch«, antwortete er und lachte dabei ein wenig.
    Ich mochte ihn nicht besonders gern, oder vielmehr: ich konnte ihn absolut nicht leiden. Er hatte sehr helles Haar und ein volles, gar zu weißes Gesicht, von einer geradezu unanständigen, kinderhaften Weiße; von Statur war er sogar größer als ich, aber doch konnte man ihn nur für siebzehnjährig halten. Gegenstände, über die ich mit ihm hätte sprechen können, gab es keine.
    »Wie ist es denn dort? Trifft man da immer einen Haufen Menschen?« fragte ich, um mich vorher zu orientieren.
    »Warum hast du denn immer solche Angst?« spottete er wieder.
    »Scher dich zum Teufel mit deiner Angst!« erwiderte ich ärgerlich.
    »Von einem Haufen Menschen kann nicht die Rede sein. Es kommen nur Bekannte hin, lauter Gesinnungsgenossen; du kannst ganz beruhigt sein.«
    »Was kümmert das mich, ob es Gesinnungsgenossen sind oder nicht! Bin ich etwa da auch ein Gesinnungsgenosse? Was kann ihnen denn Vertrauen zu mir einflößen?«
    »Ich bringe dich mit, das genügt. Sie haben schon von dir gehört. Auch Krafft kann über dich Auskunft geben.«
    »Hör mal, wird Wassin da sein?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wenn er da ist, dann stoß mich doch an, gleich wenn wir hereinkommen, und zeig ihn mir; hörst du?«
    Über Wassin hatte ich schon viel gehört und interessierte mich schon lange für ihn.
    Dergatschew wohnte in einem kleinen Nebengebäude auf dem Hof eines Holzhauses, das einer Kaufmannsfrau gehörte, hatte aber dafür auch das Nebengebäude vollständig für sich. Es waren im ganzen drei saubere Zimmer. An allen vier Fenstern waren die Rouleaus heruntergelassen. Er war Techniker und hatte in Petersburg eine Anstellung; ich hatte flüchtig gehört, daß ihm eine vorteilhafte private Stellung in der Provinz angeboten sei und er sich schon zum Umzug anschicke.
    Kaum hatten wir das winzige Vorzimmer betreten, als wir Stimmen vernahmen; es wurde, wie es schien, hitzig debattiert, und jemand rief: »Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat; quae ferrum non sanat, ignis sanat!«
    Ich befand mich tatsächlich in einiger Unruhe. Allerdings war ich nicht an Gesellschaft gewöhnt, von welcher Art auch immer sie sein mochte. Auf dem Gymnasium hatte ich mich zwar mit den Kameraden geduzt; in freundschaftlichen Beziehungen jedoch hatte ich eigentlich fast mit keinem von ihnen gestanden; ich hatte mir gleichsam meinen Winkelgeschaffen und in diesem Winkel gelebt. Aber das war es

Weitere Kostenlose Bücher