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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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zweihundert Jahren sich nichts entwickelt.
    Beschuldigen Sie mich nicht, ein Slawophiler zu sein; ich sage das nur so aus Misanthropie, weil mir schwer ums Herz ist! Jetzt, seit kurzem, geht bei uns etwas vor, was das volle Widerspiel zu dem oben Geschilderten ist. Der Schutt wächst nicht mehr an die höhere Menschenschicht an, sondern im Gegenteil lösen sich von dem schönen Typus mit vergnügter Eilfertigkeit Stückchen und Bröckelchen ab und bilden herabfallend mit den Freunden der Unordnung und den Neidern einen gemeinsamen Haufen. Und es kommt keineswegs nur in vereinzelten Fällen vor, daß die Väter, die Stammhalter alter kultivierter Familien, selbst schon über das lachen, woran ihre Kinder vielleicht noch glauben würden. Ja noch mehr: sie zeigen ihren Kindern mit Begeisterung ihre gierige Freude an dem plötzlich entdeckten Recht auf Ehrlosigkeit, das sie jetzt in Massen aus irgend etwas abgeleitet haben. Ich spreche nicht von den echten Fortschrittsmännern, liebster Arkadij Makarowitsch, sondern nur von jenem unzähligen Gesindel, auf das der Ausspruch zutrifft: Grattez le Russe et vous verrez le tartare. Und glauben Sie mir, echte Liberale, echte, hochherzige Freunde der Menschheit, gibt es bei uns überhaupt nicht so viele, wie wir auf einmal geglaubt hatten.
    Aber das alles ist Philosophie: kehren wir zu dem Romanschriftsteller zurück, den wir uns vorstellten! Die Lage unseres Romanschriftstellers würde in einem solchen Fall eine eng umschränkte sein: er könnte in keinem andern Genre schreiben als im historischen, denn der schöne Typus existiert in unserer Zeit nicht mehr, und wenn auch Reste von ihm übrig sind, so sind sie doch nach der jetzt herrschenden Meinung nicht im Besitz der Schönheit verblieben. Oh, im historischen Genre kann man noch eine Mengehöchst erfreulicher, wohltuender Einzelheiten schildern! Man kann den Leser sogar dermaßen mit sich fortreißen, daß er das historische Gemälde als etwas auch in der Gegenwart noch Mögliches ansieht. Ein solches von einem hochbegabten Schriftsteller verfaßtes Werk würde nicht so sehr der russischen Literatur als vielmehr der russischen Geschichte angehören. Das wäre ein künstlerisch vollendetes Bild einer russischen Luftspiegelung, die aber für den Leser etwas tatsächlich Existierendes sein würde, bis er einsähe, daß es eben eine Luftspiegelung ist. Der Enkel jener Helden, die in dem Bilde dargestellt wären, welches uns eine russische Familie vom Durchschnitt der oberen Bildungsstufe im Laufe dreier aufeinanderfolgender Generationen und im Zusammenhang mit der russischen Geschichte vor Augen führte, dieser Sprößling seiner Ahnen könnte in seinem modernen Typ nur als ein etwas misanthropischer, vereinsamter und zweifellos trübsinniger Mensch dargestellt werden. Er müßte sogar als eine Art Sonderling erscheinen, so daß der Leser in ihm auf den ersten Blick einen Menschen erkennen könnte, der vom Schlachtfeld gewichen ist und nichts mehr zu hoffen hat. Und in noch späterer Zeit wird auch dieser misanthropische Enkel verschwinden; neue, noch unbekannte Persönlichkeiten und eine neue Luftspiegelung werden erscheinen; aber was für Persönlichkeiten werden das sein? Wenn sie unschön sind, so ist in Zukunft der russische Roman ein Ding der Unmöglichkeit. Aber ach, wird dann nur der Roman ein Ding der Unmöglichkeit sein?
    Statt mich in die Ferne zu verlieren, kehre ich zu Ihrem Manuskript zurück. Betrachten Sie zum Beispiel die beiden Familien des Herrn Wersilow (Sie müssen mir diesmal schon erlauben, ganz offenherzig zu reden). Erstens: über Andrej Petrowitsch selbst will ich nicht weiter sprechen; aber immerhin ist er doch das Oberhaupt eines adligen Geschlechts. Er ist ein Edelmann vom alten Schlage und gleichzeitig ein Pariser Kommunard. Er ist eine echte Dichternatur und liebt Rußland, aber dafür negiert er es auch vollständig. Er ist ohne alle Religion, aber er ist beinahe imstande, für etwas ganz Unbestimmtes zu sterben, das er nicht einmal zu benennen weiß, aber an das er nach demVorbild vieler russisch-europäischer Zivilisatoren der Petersburger Periode der russischen Geschichte leidenschaftlich glaubt. Aber genug von ihm selbst; sehen wir nun seine legitime Familie an: von seinem Sohn will ich gar nicht reden, er ist dieser Ehre nicht würdig. Wer Augen im Kopfe hat, der weiß im voraus, wohin solche Buben schließlich geraten und, nebenbei gesagt, auch manchen mit sich reißen. Aber da ist seine

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