Der Jüngstre Tag
richtete sie auf die Anwesenden im Großen Saal. Das entrüstete Raunen verstummte sofort. Nur Cheryls Weinen durchbrach die Stille.
»Hör auf zu plärren«, schrie Nigel. Cheryl bemühte sich, die Tränen zu unterdrücken. Sie presste die Hände aufs Gesicht, um ihr lautes Schluchzen zu dämpfen. »Setzt euch. Ihr Morgans serviert das Essen«, befahl Nigel.
Paul streckte den Arm aus und nahm Cheryls Hand. »Mary-Claire wird nichts zustoßen. Nigel wird es nicht gelingen, ihren Mut zu brechen.« Cheryl, deren Weinen durch die angeregten Gespräche, die im Großen Saal entfacht waren, übertönt wurde, schluchzte noch lauter.
Oben auf dem Podium zog Nigel an der Leine und zwang Mary-Claire so zu Boden. Dann trat er sie mit dem Fuß, bis sie vor ihren Verwandten ausgestreckt auf dem Boden des Podiums lag. Die Abscheu und die Wut im Saal erreichten einen neuen Höhepunkt.
»Macht nicht so viel Lärm«, rief Jasper. Er und Greg zogen die Pistolen aus den Holstern und legten sie auf den Tisch. Alle drei Brüder waren darauf eingestellt, dass es Ärger geben würde.
Während Susan und Theresa der Gemeinschaft das Frühstück aus Haferbrei, Brot und Marmelade am langen Holztisch servierten, bediente Diana Nigel und seine Söhne. Sie trug abgedeckte Schüsseln mit Rühreiern, Speck und Kartoffelpuffern aufs Podium, dabei vorsichtig Mary-Claire umrundend. Wie immer stellte sie die Schüsseln vor Nigel und seinen Söhnen auf den Tisch, verneigte sich und zog sich zurück.
»Bleib hier«, brüllte Nigel plötzlich.
Gehorsam blieb sie stehen. Was hatte nur diesmal seinen Unwillen erregt? Diana hatte darauf geachtet, dass keine Spritzer auf den Schüsseln waren, denn sie wusste, wie sehr er das hasste. Die Anordnung der Gedecke war perfekt. Die Position der Messer, Gabeln und Löffel war mit Stäben, die Duncan extra angefertigt hatte, sorgfältig ausgemessen worden, damit auch sicher alle Abstände gleich groß waren.
Nigel hob seine Gabel und richtete sie auf Diana. »Probier das Essen.«
»Was ist mit dem Essen?«, fragte sie ungehalten, ehe sie ihre Wut unterdrücken konnte.
»Was ist mit dem Essen, Euer Lordschaft «, korrigierte er sie.
Diana erblasste. In ihrer Wut hatte sie vergessen, ihn mit der korrekten Anrede anzusprechen. Sie wartete auf weitere Rügen und rechnete damit, dass sie und ihre Familie zu einer Woche Dienst auf der Tretmühle im Strafzimmer verurteilt wurden. Dort wurde das Wasser der Zisterne unter dem Flag Court in die Tanks gepumpt, die Haver House mit Wasser versorgten. Diana fragte sich, wie die Familie es nach dem Tod von Melanie schaffen sollte, die Tretmühle vierundzwanzig Stunden am Tag zu bedienen, für die Gemeinschaft zu kochen und die Quartiere von Nigel und seinen Söhnen in Ordnung zu halten.
»Benimm dich«, spottete Damian.
»Verzeihung, Sir Damian«, sagte sie schnell, darauf bedacht, ihren Cousin zu beschwichtigen, indem sie wenigstens bei seinem Sohn die richtige Anrede benutzte.
Nigel starrte Damian an. Er brauchte keine Hilfe, um seine Untertanen in Schach zu halten. Er reichte Diana die Gabel. »Probier das Essen.«
Sie nahm die Gabel, schob etwas Ei darauf und nahm sie in den Mund.
»Es ist gut … Euer Lordschaft.«
Nigel, der offenbar zufrieden war, machte eine Geste, um sie zu entlassen. Diana wich zurück. »Was ist mit Mary-Claire? Soll ich ihr etwas zu essen bringen?«
»Sie kann später essen«, erwiderte Nigel schroff.
Als sich Diana entfernte, beugte Jasper sich zu seinem Vater hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Ich hab’s mir anders überlegt«, rief Nigel ihr hinterher. »Bring mir zwei Schalen für Mary-Claire.«
Diana eilte davon und traf Susan in der Küche.
»Was ist los?«, fragte Susan.
»Ich weiß nicht. Vielleicht meint dieser Scheißkerl, wir könnten versuchen, ihn zu vergiften.«
Susans Augen leuchteten auf. »Keine schlechte Idee.«
Diana war anderer Meinung. Seitdem sie in Haver gefangen gehalten wurde, und vor allem seit Melanies Tod, hatte sie sich vorgestellt, wie Nigel tausend Tode starb. Eine Vergiftung hatte sie ausgeschlossen. Das ging viel zu schnell. Selbst wenn er sich ein oder zwei Stunden lang vor unerträglichen Schmerzen krümmte, würde das den Tod ihrer Tochter nicht sühnen.
Diana kehrte mit zwei Schalen und einem Besteck aufs Podium zurück. »Euer Lordschaft«, sagte Diana. Sie verneigte sich und legte alles vor ihm auf den Tisch.
»Das braucht sie nicht«, sagte Nigel. Er nahm das Besteck und warf
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