Der Jukebox-Mann
wer einbrechen wollte, musste hochklettern. Hier drinnen nahm er denselben Geruch wahr wie auf der Straße. Es war ein namenloser Duft, vielleicht mehr als Sommer.
Elisabeth machte eine Kopfbewegung zu dem Tischchen im Flur. Er sah das Telefon, das schwarze Bakelit hatte denselben Farbton wie die verdorbenen Platten in der Wurlitzer.
»Es dauert nur eine Minute«, sagte er.
Elisabeth ging in die Küche. Er hörte den Wasserhahn rauschen. Er wählte die Nummer und wartete, ließ es dreimal, viermal, fünfmal, sechsmal klingeln. Länger wartete er nie, auch jetzt nicht. Anfangs hatte er es länger klingeln lassen, es könnte ja etwas passiert sein, der Wasserhahn in der Badewanne war aufgedreht, der Kaffee kochte über. Aber jetzt: nicht mehr als sechsmal, häufig weniger.
Nie war jemand zu Hause. Aber plötzlich überkam es ihn und er musste die Nummer wählen, wie jetzt. Es war wie ein Zwang.
Er hatte versucht, sich das Zimmer vorzustellen, in dem das Telefon stand, aber er konnte es nicht vor sich sehen. Es gab keine Farben. Es gab keine Gerüche. Es gab kein Licht. Niemand bewegte sich in diesem Zimmer, streckte eine Hand nach dem Telefon aus.
Er legte den schweren Hörer auf die Gabel. Er roch Kaffee, hörte das Klappern von Porzellan in der Küche. Elisabeth steckte den Kopf in den Flur.
»Möchtest du etwas Warmes zu essen haben?«
Ihm fiel ein, dass er heute noch nichts Warmes gegessen hatte, ein Käsebrot aus einem Automaten und einen Apfel, der aus irgendeinem Grund auf dem Rücksitz im Auto gelegen hatte. Er wusste nicht, wer ihn dort hingelegt hatte. Es muss ein ausländischer Apfel gewesen sein. Es waren noch zwei Monate bis zum Herbst und bis zur Apfel-Klau-Saison.
»Vielleicht ein Spiegelei oder so was.«
»Ich kann dir auch ein Pariser Butterbrot machen, mit Schinken – Hackfleisch hab ich nicht. Und ich kann dir Kartoffeln von gestern braten.«
»Das wäre gut.«
Johnny war es innerlich warm, als er durch die Nacht nach Hause fuhr. Nach Elisabeths Essen würde er am nächsten Morgen kaum ein Frühstück brauchen. In der halben Stunde, den vierzig Minuten, begegnete er drei Lastern hintereinander, das war alles. Elvis leistete ihm beim Fahren Gesellschaft. Er hatte ihn schon vierundfünfzig gehört, als alles mit Elvis begann. Anfangs hatte er fünfundzwanzig Prozent Elvis-Platten in seinen Boxen gehabt, eine Zeit lang schien das sogar zu wenig zu sein, es hätte auch mit fünfzig Prozent funktioniert, in einigen Lokalen hätte er sogar eine Box aufstellen können, die nur Elvis enthielt. Jetzt würde es nicht mal mit fünfzehn Prozent gehen. Er versuchte es immer noch, aber Geschäft war nun mal Geschäft. Er musste sich danach richten, was die Leute hören wollten.
Er fuhr an einem Ort vorbei, einige Meilen weiter fuhr er durch einen Ort durch. Es war schon wieder hell, der Mond ging unter und die Sonne würde bald aufgehen. Elvis sang ihm von Fame and Fortune: Wen kümmert Berühmtsein und Vermögen, so was vergeht, die Liebe ist größer als Silber und Gold. Glaube ich daran? Glaube ich an die Liebe? Glaubt Elvis an die Liebe? Ich muss ihn fragen, wenn ich ihm begegne. Er wohnt in Memphis, Tennessee. Ich kann hinfahren. So alt bin ich noch nicht. Er sah die Zigarette in der Frontscheibe aufglühen, als er einen Zug nahm. Er musste husten. Das letzte Wort war noch nicht gesprochen, das letzte Lied noch nicht gesungen. Elvis würde wieder ganz groß werden, business würde wieder richtiges business werden. Das Blatt würde sich wenden. Die Cafés würden sich wieder füllen und die natürlichen Treffpunkte der Dörfer werden, die Jukeboxen würden glühen, die Schallplatten würden schmelzen, aber aus dem richtigen Grund. Das dritte Programm würde eingestellt, Fernsehen unmodern werden. Der Verkauf privater Plattenspieler würde verboten werden. Johnny Bergman würde seine Belohnung bekommen, weil er ausgeharrt hatte, alle gelegentlichen Fliegen und Eintagsfliegen abgewartet hatte. Justus P. Seeburg würde in einem langen Traum aus dem Jukebox-Himmel herabsteigen und ihm eine Medaille in Neon verleihen. Seeburg war in diesem alten Land geboren. Das wussten nicht viele.
3
Es kommt eine Zeit, da ist alles, wie es sein soll, Junge. Wer hatte das gesagt? Es gab ein Gesicht. Johnny war vor acht aufgestanden mit den Resten eines Traums, in dem jemand von der Zukunft erzählt hatte. Er wusste, wer es war. Es gab eine Fortsetzung. Es dauert nicht mehr lange. Wir können gehen, wenn du
Weitere Kostenlose Bücher