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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sagte oder nicht. Isadora hat es immer geliebt, fantastische Geschichten zu erfinden.«
    »Ich glaube, er muss von Selkie Island gewesen sein«, sagte ich. Mein Herz raste. »Ein Einheimischer.« Und sehr wahrscheinlich ein Meermann.
    Was bedeutete, dass Mom …
    Was bedeutete, dass ich …
    Mein Kopf dröhnte. Die Küche nahm mit einem Mal die schemenhaften Züge einer anderen Welt an. War dies der Grund, warum sich Leo zu mir hingezogen fühlte? Warum ich das Meer liebte? Warum ich Schwimmhäute zwischen den Zehen gehabt hatte? Ich wusste, dass Mom keine Meerjungfrau war – oft genug hatte ich sie schwimmen gesehen –, aber vielleicht verloren sich die Eigenschaften ja im Laufe der Generationen. Oder vielleicht würden meine eigenen Kinder …
    Ich konnte nicht mehr denken. Die Grundlage meines Lebens schien plötzlich verändert und infrage gestellt. Immerhin machen unsere Familien, unsere Ahnen auch unsere Identität aus. Biologie ist Schicksal.
    ›Ich bin nicht die, für die du mich hältst‹, hatte ich zu T. J. bei unserer letzten Begegnung gesagt. Vielleicht war ich auch nicht die, für die ich mich selbst hielt.
    »Das … könnte durchaus stimmen«, sagte Mom leise und riss mich aus dem Treibsand meiner Gedanken. Ihre Augen waren tränenfeucht und ihre Unterlippe zitterte, aber ihr Anblick schreckte mich nun nicht. »Meine Güte. Die ganze Zeit hatte ich keine Ahnung – nicht die geringste –, warum Isadora mir den Alten Seemann vererbt hat. Klar, ich hab Selkie Island immer geliebt, aber Coral und Jim ebenfalls, und mit ihnen hat sie nie so gehadert wie mit mir. Aber …«
    »Vielleicht hast du ja auf ganz andere Weise ein Anrecht auf dieses Haus«, bot ich als Argument an und fühlte mich ebenso zu Tränen gerührt. Und vielleicht war Isadora gar nicht solch ein Monster. Ich wagte nicht, diese Worte auszusprechen, wenngleich ich an Moms Gesichtsausdruck erkennen konnte, dass sie etwas Ähnliches zu denken schien.
    »Weißt du was, mein Schatz?« Mom drückte meine Hand. »Du bist einfach viel schlauer, als es dir guttäte.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und betupfte dann ihre Wange mit einer Serviette. »Irgendwann würde ich die Briefe gern mal sehen«, fügte sie sanft hinzu und sah mich an.
    Ich nickte und freute mich plötzlich, diese Entdeckung mit meiner Mutter teilen zu können. Vielleicht standen in diesen Briefen sogar noch mehr Dinge, die mir etwas beibringen konnten. »Wir müssen sie doch eh bald zusammenpacken, oder?«
    »Oh.« Mom lächelte mich an. Sie legte ihre Serviette beiseite und seufzte. »Das war die andere Sache, die ich dir erzählen wollte.«
    »Was?«, fragte ich und verspürte einen neuen Anflug von Nervosität. Ich war mir nicht sicher, wie viele weitere Offenbarungen ich würde verarbeiten können.
    »Ich habe nach langem Nachdenken entschieden, das Haus nicht zu verkaufen«, sagte Mom. »Wir behalten den Alten Seemann.«
    »Wirklich?«, rückversicherte ich mich und schnappte nach Luft. Die Wahrheit war, dass ich solche Anzeichen bereits bemerkt hatte: Moms plötzlich nachlassendes Interesse am Zusammenpacken und Organisieren, ihre Unterhaltung mit Daryl Phelps. »Wieso hast du deine Meinung geändert?«, platzte ich heraus und sagte das Erste, was mir in den Kopf kam. »Ist es wegen Mr. Illingworth?«
    Mom sah mich erstaunt an und wurde dann rot – so rot, dass ich nicht anders konnte als zu grinsen. »Zum Teil«, sagte sie und blickte auf ihre halb aufgegessene Mahlzeit. »Teils aber auch wegen Delilah und den anderen alten Freunden, zu denen ich wieder Kontakt aufgenommen habe. Es ist wirklich komisch, wie sich die Leute im Laufe des Lebens verändern, Miranda. Als ich so alt war wie du, war ich mir über viele Dinge so sicher. Ich hatte eine feste Meinung über solche Leute wie Teddy, Delilah und meine Mutter. Ich hab sie abgeschrieben. Doch jetzt … nach so vielen Jahren … tja, da haben einige Leute wohl eine zweite Chance verdient.«
    Wie Linda
, dachte ich und war von mir selbst überrascht.
    »Wie Leo«, sagte Mom und verdoppelte mein Erstaunen.
    Ich kniff die Augen zusammen und sah sie entgeistert an.
    Mom lächelte, ihr Blick war flehentlich. »Ich weiß, dass ich etwas barsch zu ihm war. Ich muss mich nächstes Mal bei ihm entschuldigen.«
    Nächstes Mal. Unglaube und Erleichterung überrollten mich wie eine Dampfwalze, so kraftvoll, dass ich nach Atem ringen musste. Es würde also ein nächstes Mal geben. Wenn Mom und ich das Haus behielten,

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