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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und ich mich in meiner, schien die Kluft zwischen beiden Welten nur schwer überbrückbar.
    ***
    Als Mom und ich am nächsten Morgen mit unseren Taschen voller alter Briefe und Kleider zur sonnenbeschienenen Anlegestelle kamen, blickte ich dennoch hoffnungsvoll erst in Richtung des Nebels über Fisherman’s Village und dann in das schimmernde Blau dahinter. Tief im Innern wusste ich, dass Leo auf diese halb magische Weise irgendwie erfahren haben musste, was passiert war, und vielleicht in letzter Minute mit dem Boot seines Vaters auftauchen würde, um mir zu sagen, wie glücklich er über die Neuigkeiten war. Doch ich sah ihn nicht.
    Hinter uns, im Glaucus Way, lag der gut verschlossene Alte Seemann. Llewellyn Thorpes Buch stand noch im Regal des Arbeitszimmers. Alles war also in schönster Ordnung. Dennoch war ich nervös und unruhig, so als befände ich mich bereits auf dem Schiff.
    Mom stellte sich in die Reihe der wartenden Passagiere – unter ihnen der blonde Junge und seine Eltern, die schon mit mir hierhergekommen waren –, während ich noch auf den hölzernen Planken verweilte. Ich schützte meine Augen vor der gleißenden Sonne, stellte mir Leo auf dem Boot seines Vaters vor und hoffte, einen Fischtrawler zu entdecken.
    Doch da war nichts.
    Vielleicht war Leo ja auch gar nicht auf Angeltour, dachte ich und erinnerte mich an unseren Augenblick unter Wasser. Vielleicht mussten die Meermänner von Selkie ja manchmal ein paar Tage ins Meer zurückkehren, um wieder zu Kräften zu kommen. Ich grinste und dachte, dass Llewellyn Thorpe so ein Detail bestimmt in seinem Buch festgehalten hätte.
    Der Ozean schien heute so gewöhnlich, so ganz er selbst – das Auf und Ab, die sanft an die Anlegestelle schwappenden Wellen –, dass das Unvorstellbare nur schwer vorstellbar war. Ich blickte suchend in seine düsteren Tiefen und bemühte mich zu verstehen, was das Wasser alles bereithalten konnte.
    Als ich wieder aufblickte, sah ich einen weißen Fleck am Horizont und mein Herz machte einen Freudensprung. Doch als der Fleck größer und größer wurde, begriff ich, dass es die
Princess of the Deep
war. Ich war furchtbar enttäuscht, und zum ersten Mal, seitdem wir uns vor seinem Haus gestritten hatten, zweifelte ich an Leo. Ich stieß einen Seufzer aus, der Mom dazu veranlasste, über den Rand ihrer Sonnenbrille zu mir herüberzuschauen.
    Den altbekannten Hopser vollführend begann die hübsche Fähre das Anlegemanöver. Das Schiff schien in meinen Augen viel kleiner als noch vor ein paar Wochen.
Bin ich etwa gewachsen?
, wunderte ich mich.
    Es war seltsam, dass unsere Zeit auf Selkie vorerst vorüber war und wir uns in ein paar Stunden wieder in der harten Realität von New York City befinden würden. Ich würde mein Praktikum anfangen und vielleicht – vielleicht – darüber nachdenken, Linda anzurufen. Doch was ich jetzt über Mom und sie über mich wusste, würde uns ebenfalls begleiten.
    Als sich die wartenden Passagiere in Bewegung setzten, nahm Mom meine Hand und führte mich zur Gangway. Meine Kehle war vor lauter Gefühlen wie zugeschnürt. Ich blickte über meine Schulter, da ich immer noch hoffte, Leos goldenes Haar irgendwo zu entdecken.
    »Komm schon, Miranda«, sagte Mom in ihrem geschäftsmäßigen Tonfall. »Nicht trödeln.« Je näher wir der Fähre, je näher wir dem Festland kamen, desto mehr schien Mom zu ihrem alten Selbst, der routinierten Chirurgin, zurückzukehren.
    Ich kämpfte gegen die Tränen an, lief die Gangway hoch und hielt dabei den Blick fest auf meine Chucks gesenkt, als eine raue männliche Stimme sagte: »Da ist ja meine Zuckerschnecke wieder.«
    Schon bevor ich meinen Kopf hob, wusste ich, dass es Matrosenmütze war. Er sah unverändert aus, trug dieselben Sachen wie beim letzten Mal. Selbst die Mütze saß im selben flotten Winkel auf seinem Kopf.
    »Ich heiße Miranda«, erwiderte ich brüsk und blinzelte meine Tränen weg. Ich wollte nicht, dass er mich weinen sah. Es war sicherer, zu dem Umgang zurückzukehren, den wir schon auf der Hinfahrt gepflegt hatten.
    »Sieht so aus, als ob du’s überlebt hast, Miranda«, sagte Matrosenmütze und grinste mich an, während er mein Ticket entzweiriss.
    Einerseits war ich nicht in der Stimmung für Matrosenmützes Frotzeleien, andererseits wusste ich jetzt irgendwie alles zu schätzen, was er mir erzählt hatte.
    »Stimmt«, erwiderte ich lässig, doch er blickte mich weiter belustigt an.
    Vielleicht weiß er es
, wurde mir in einer

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