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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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aus. Sehen Sie, Doktor, manche von uns hatten nicht genau das, was man brauchte. Damals empfand ich das als Mangel. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, daß es ein Vorteil sein könnte.
     Hiermit wird bestätigt, daß Peter van Pels…
     Ich hatte die Luft angehalten, als die Sekretärin im Lager die Daten eingetragen hatte.
      …geboren in Osnabrück, Deutschland, am 8. November 1926, männlich, unverheiratet, die Absicht hat, in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern.
     Größe 188 cm.
     Haarfarbe braun, Augenfarbe blau.
     Besondere Kennzeichen: Narbe am rechten Arm oberhalb des Handgelenks.
     Sie hatte die Narbe eines Rattenbisses an meinem rechten Arm aufgeschrieben, aber nicht die Nummer auf meinem linken. Es gab zu viele Menschen mit solchen Nummern, als daß sie ein besonderes Kennzeichen gewesen wären.
     Der Bewerber erklärt, nie wegen irgendeiner Gesetzesübertretung verurteilt worden zu sein.
      Die Angeln des Scheunentors quietschen. Tiere bewegen sich und schnauben und scharren. Der alte Mann schnarcht.
    Aber ich wurde nie wegen irgend etwas verurteilt.
     Ich hatte die Papiere in die Brusttasche meines Jacketts gesteckt, um sie vor Beschädigung zu schützen, bereit, sie auf Verlangen vorzuzeigen.
     Es waren noch immer ein halbes Dutzend Menschen vor mir. Vielleicht hatte ich mich auf dem Schiff mit einer Krankheit angesteckt, und irgendein verräterisches Zeichen würde mich jetzt erledigen. Vielleicht hatte jemand eine Klage gegen mich erhoben. Die Leute erfinden immer Geschichten. Dieser da war ein Kapo. Jener war ein Kommunist. Der Soundso hat einen blühenden Schwarzhandel betrieben. Sie taten das, um selbst besser dazustehen und um Punkte zu machen. Und weil sie irgend jemanden finden mußten, auf den sie ihren mörderischen Zorn abladen konnten, den sie mit sich herumtrugen.
     Ich kam immer näher. Nun war nur noch eine Person vor mir dran. Der Zollbeamte nahm den Paß des Mannes und das Visum und starrte die Dokumente an. »Wischwss…« Seine Stimme stieß eine Reihe Konsonanten aus. Er schüttelte den Kopf. »Das ist kein Name, es ist ein Fluch.« Er schrieb etwas auf die Dokumente, stempelte sie und gab sie zurück. »Willkommen in den Vereinigten Staaten, Sir.« Er zischte das letzte Wort, aber der Mann nahm einfach seine Papiere, nickte einige Male, um seine Dankbarkeit zu zeigen, und ging davon.
     Ich trat vor den Tisch und überreichte meine Papiere zügig, aber nicht zu schnell. Kein Anzeichen von Hackenzusammenschlagen oder einem energischen Salutieren. Ich wollte ihn nicht auf falsche Gedanken bringen.
     Er nahm den Identitätsausweis aus meiner Hand, die zu meinem Erstaunen nicht zitterte, und betrachtete ihn. »Van Pels. Nun, das ist ein guter amerikanischer Name. So amerikanisch wie Stuyvesant. New York hieß früher New Amsterdam, wissen Sie, und Brooklyn war ursprünglich Breuckelen. Und Harlem hieß Haarlem.« Während er meinen Ausweis betrachtete, murmelte er noch etwas anderes vor sich hin. Ich erkannte die Wörter. Ich kannte sie auf englisch, französisch, niederländisch und deutsch. Ich würde sie vermutlich in einem halben Dutzend anderer Sprachen, die ich nicht spreche, auch erkennen.
     »Keiner des auserwählten Volks«, hatte er gemurmelt.
     Ich fragte mich, ob es ein Witz war oder ob er mich auf die Probe stellen wollte. Ich beobachtete ihn, wie er weiter das Dokument studierte. Als ich es zum ersten Mal gesehen hatte, war ich erstaunt gewesen. Ich konnte es noch immer nicht fassen. Deutsche und niederländische Papiere, sogar D.-P.Dokumente, gaben die Religion des Besitzers an. Der Identitätsausweis statt eines Reisepasses, ausgestellt vom Generalkonsulat der Vereinigten Staaten, gab nur an, wie groß ich war und ob ich besondere Kennzeichen hatte und ob ich schon einmal vor Gericht verurteilt worden war. Was für ein Land!
     Der Offizier schaute von dem Dokument auf. Ich wartete darauf, daß er seinen Irrtum erkannte. Auf dem Schiff hatten mich alle als einen der Ihren angesehen.
     »Sie haben hier genug Zeit verbracht, Herr van Pels, Sie denken bestimmt schon, wir sind nichts als eine Müllhalde für den Abfall der Welt, und wundern sich, wofür unsere Jungs gekämpft haben.« Er stempelte den Ausweis. »Ich habe heute morgen mindestens hundert Immigranten abgefertigt, und Sie sind der einzige, dem ich meine Schwester zur Frau geben würde.« Er zwinkerte und hielt mir das Dokument hin. Hier, nehmen Sie es, Herr van Pels. Nehmen Sie

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