Der Junge, der Anne Frank liebte
Deutscher.«
»Ich bin amerikanischer Staatsbürger.«
»Deutsch von Geburt, meine ich.«
»Mein Vater war Niederländer und sein Vater ebenso. Ich bin nur zufällig in Deutschland geboren.«
»Wann war das?«
»Am 8. November 1926«, sagte ich, obwohl der 13. August
1946 der Wahrheit näher gekommen wäre. »Und wann kamen Sie hierher?« »Am 13. August 1946.« »Sie waren während des Krieges also in Deutschland?« Niemand wird wissen, daß wir hier sind. Von außen kann man es nicht sehen.
»Ich war in Europa.«
»Sind Sie Jude, Herr van Pels?«
»Sind Sie es, Doktor?«
»Ich bin nicht wichtig. Es ist nur ein Mittel, das uns helfen soll, Sie zu verstehen.«
»Da ist nichts zu verstehen.«
»Zu verstehen, warum Sie Ihre Stimme verloren haben. Sie haben gesagt, Sie wurden in Deutschland geboren, aber Sie waren während des Krieges irgendwo anders. Deshalb habe ich gefragt, ob Sie Jude sind.«
»Nein. Aber meine Frau ist Jüdin.«
Normalerweise erzähle ich das den Leuten nicht, aber da wir nun einmal darüber sprechen wollten, was ich während des Kriegs in Europa getan hatte, schien es mir angebracht zu sein. Dadurch konnten auch irgendwelche unterschwelligen Peinlichkeiten vermieden werden. Vor ein paar Monaten hat mich der Mann, mit dem ich bei der First-Mutual-Bank zu tun habe, gefragt, ob ich daran interessiert sei, dem Country Club beizutreten, aber danach erwähnte er das Thema nie mehr. Ich wäre keinesfalls beigetreten, doch die Tatsache, daß er seither außerstande ist, mir in die Augen zu sehen, wenn das Thema Golf aufkommt, ist schlecht fürs Geschäft.
»Dann waren Sie also in der Armee? Sie müssen…«, er warf einen Blick auf den gelben Block, »…dreizehn gewesen sein, als der Krieg begann, und achtzehn, als er endete.«
»Ich habe die meiste Zeit in Amsterdam verbracht.«
Ich konnte sehen, wie er beim Schreiben nachdachte. Was haben Sie in Amsterdam getan, Herr van Pels? Juden zusammengetrieben, da Sie ja kein Angehöriger des auserwählten Volks sind, oder einfach nur niederländische Bürger verprügelt? Er war nicht der einzige, der sich wunderte. Soweit ich sehen konnte, war verdächtigt zu werden der Preis, den man dafür bezahlen mußte, kein Jude zu sein. Angesichts der jüngsten Geschichte gab es wohl keine andere Möglichkeit.
»Was ist mit Ihrer Familie? Ist Ihre Familie mit Ihnen in dieses Land gekommen?«
Das amerikanische Konsulat
Rotterdam
Hiermit wird bestätigt, daß am 10. Februar 1939 Hermann, Auguste und Peter van Pels in die Warteliste für eine Emigration nach Amerika eingetragen wurden.
»Meine Eltern sind tot.«
Er schaute mich weiter an.
»Kriegsopfer.« Das Wort war ein geheimnisvolles Flüstern in dem dämmrigen Raum.
»Brüder oder Schwestern?«
Es wird sein, als hättest du zwei Schwestern.
Es wird sein, als hättest du zwei Freundinnen – in derselben Wohnung. Schau mal, Kerli, wie rot er wird.
»Keine Brüder oder Schwestern.«
»Irgendwelche überlebenden Verwandten?«
Wollte er eine Liste? Großvater Aaron verhaftet nach der Kristallnacht, tot, bevor wir untergetaucht waren. Tante Hetty in Auschwitz, Tante Klara in Sobibor.
Ich schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid«, murmelte er, und ich konnte sehen, wie er nachdachte. Was immer ich im Krieg erlebt hatte – und darüber grübelte er noch –, es war kein Zuckerschlecken gewesen. Bequem, solche Redewendungen. Von Anfang an haben sie mich von den anderen Displaced Persons und Greenhorns unterschieden, von den Greenies, wie diejenigen, die seit einer Generation oder auch nur seit zehn Jahren hier waren, uns nannten.
»Es muß schwierig gewesen sein«, fuhr er fort.
Schwierig. Ach, diese Worte, auf die wir kommen, um uns das Undenkbare vom Leib zu halten. Ja, Doktor, es war schwierig. Doch es war auch hilfreich, obwohl es eine Schande ist, das zu sagen. Wenn ich nicht allein gewesen wäre, säße ich jetzt nicht hier. Ich hatte einen Kameraden im D.-P.-Lager, einen Polen, der nicht seine ganze Familie in einem einzigen Augenblick oder eben im Laufe eines Jahres verloren hat. Seine Frau und drei seiner fünf Kinder hatten überlebt. Genaugenommen lernte ich ihn schon vor dem D.-P.-Lager kennen, als er noch dachte, er hätte sie alle verloren. Wir lebten damals draußen, Überlebende unterwegs, und nahmen uns das, was wir brauchten, da, wo wir es finden konnten.
Es reicht, Peter. Wir haben genug Spaß für eine Nacht
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