Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
Leute angeht: Es ist ganz normal, deswegen aufgeregt zu sein. Ein bisschen Aufgeregtheit ist sogar gut; sie wird dir helfen, die Vorstellung durchzuziehen. Und die Veränderung? Du wirst ja kein völlig anderer Stanley Potts werden. Du wirst der neue und der alte Stanley sein, alles auf einmal. Du bist der Stan von der Entenbude und der Stan aus den Tagen der Fischzuchtgasse. Und du wirst der funkelnagelneue Stan sein, der mit den Piranhas schwimmt. Wenn du all das bist, erreichst du wahre Größe.“
Stan hört dem großen Pancho Pirelli zu. Er lässt alle Erinnerungen zu. Blasse Bilder erscheinen aus der Zeit, als er noch ganz klein war und seine Mutter und sein Vater noch lebten. Er sieht sich Hand in Hand mit Onkel Ernie und Tante Annie an dem glitzernden Fluss entlangspazieren. Er erinnert sich an die Fischfabrik und das Elend, das er dort empfunden hat. Er denkt an die Goldfische, an den zarten dreizehnten Fisch, an Dostojewski, Nitascha und die Entenbude. Er lässt all diese Erinnerungen in seinem Herzen zusammenströmen. Und schließlich holt er noch das Piranha-Becken dazu, die Fische und ihre Zähne und ihren schwebenden Tanz. Da erkennt er, dass sich in seiner Erinnerung ganz erstaunliche Dinge abspielen können.
Und dann schaut er Pancho Pirelli an und sagt ruhig: „Ich bin bereit. Wir können jetzt zum Becken gehen.“
Dreiundvierzig
Plötzlich ist Stan da. Er tritt ins Scheinwerferlicht unter seinem Namen. Er trägt Umhang, Badehose und Taucherbrille. Auf seinem Gesicht liegt ein Ausdruck ruhiger Entschlossenheit. Die Zuschauer keuchen vor Aufregung und Entzücken auf. Kinder quietschen.
„Er ist es!“, flüstern sie. „Das ist Stanley Potts.“
„ Der?“ , sagt jemand. „Dieser hagere kleine Bursche da?“
„Das kann nicht sein.“
„Er ist es.“
„Er ist viel zu klein .“
„Er ist es.“
„Er ist zu dürr .“
„Er ist es.“
„Er ist zu jung .“
„Das kann nicht Stanley Potts sein.“
Pancho Pirelli tritt zu Stanley ins Scheinwerferlicht. Die Stimmen verstummen.
„Dies“, sagt Pancho, „ist Stanley Potts.“
„Also ist er es“, sagen welche.
„Ich hab’s doch gesagt“, sagen andere.
Pancho hebt die Hand und Stille tritt ein. Er zieht die Plane beiseite und da sind sie – die entsetzlichen fischigen Feinde. Sie schwimmen durch das wunderschön beleuchtete Wasser, diese tödlichen Teufel mit ihren rasiermesserscharfen Zähnen und den Kiefern wie Fangeisen.
„Und dies“, sagt Pancho, „sind meine Piranhas.“
Es wird gequietscht und gekeucht und gestöhnt und geächzt.
Pancho hebt wieder die Hand. „Meine Damen und Herren“, flüstert er. „Sie werden jetzt etwas ganz Erstaunliches erleben. Sie werden etwas sehen, was für immer in Ihren Träumen weiterleben wird.“
Es wird noch mehr gequietscht und gekeucht und gestöhnt und geächzt.
„Aber zunächst“, sagt Pancho, „müssen Sie Ihr Geld herausholen und bezahlen.“
Stan bleibt im Scheinwerferlicht stehen, während Pancho durch die Zuschauermenge geht und seinen Samtbeutel herumreicht. Pancho murmelt seinen Dank für die Münzen, die in den Beutel fallen. Er murmelt auch Worte der Ermutigung. „Schauen Sie noch einmal nach, mein Herr. Vielleicht ein bisschen mehr, verehrte Dame? So ist es besser, so ist es viel besser. Oh, danke, sehr liebenswürdig.“ Er äußert auch seine Enttäuschung. „Ist das wirklich alles, was Sie geben wollen? Für so einen Hungerlohn erwarten Sie ein Wunder zu sehen?“ Er knöpft sich die Zaudernden vor. „Ich kann Sie sehen. Den Augen von Pancho Pirelli entkommen Sie nicht! Geld wollen wir. Geld brauchen wir. Bitte bezahlen Sie!“
Ein- oder zweimal erhebt er in gespielter Wut seine Stimme. „Ist Ihnen klar, dass der Junge sein Leben für Ihre Unterhaltung aufs Spiel setzt?“ Währenddessen nimmt das erregte Murmeln stetig zu.
Hinter der Menge, aus den Schatten zwischen zwei Wohnwagen, sehen fünf Augenpaare zu. Fünf Augenpaare, die zu fünf bulligen Kerlen in schwarzen Anzügen gehören.
„Was is’n da los, Chef?“, fragt einer der Kerle.
„Etwas ganz und gärlich Fischiges“, antwortet Clarence P. Er deutet auf Stan. „Ich hätte wissen sollen, was das Monster da vorne vorhat. Wir hätten ihn zuhalten sollen, damals in der Fischzuchtgasse.“
„Ich sehe Sie, Sie da hinten“, sagt Pancho und schiebt sich durch die Menge auf die Kerle zu. „Es hat keinen Sinn, sich im Dunkeln zu verstecken. Es gibt keinen Grund, so schüchtern zu sein,
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