Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
des vertrauten Gewächshauses. »In dem Klatschblatt steht etwas über dich.« Tom schlug die Zeitung auf. Er kehrte dem Haus den Rücken zu. Héloïses Cembalospiel war noch zu hören. »Ich finde, das solltest du lesen.«
Frank nahm die Zeitung. Das jähe Zucken der Hände verriet sein Erschrecken. »Verdammt«, murmelte er und las mit verbissener Miene.
»Glaubst du, dein Bruder könnte nach Frankreich kommen?«
»Ich glaube, das… Ja. Aber zu behaupten, meine Familie wäre ›verzweifelt‹, ist völliger Blödsinn.«
Leichthin sagte Tom: »Was wäre, wenn Johnny heute hier auftauchen würde und sagen: ›Na, da bist du ja.‹?«
»Wieso hier?« fragte Frank.
»Hast du je von mir gesprochen, deiner Familie je meinen Namen genannt? Oder auch nur Johnny gegenüber?«
»Nein.«
Tom flüsterte: »Was ist mit den Derwatts? Habt ihr nicht darüber gesprochen? Du weißt noch – vor etwa einem Jahr?«
»Ja, das weiß ich noch. Mein Vater hat das erwähnt, wegen der Zeitungsberichte. Um Sie ging es dabei eigentlich nicht. Nein, gar nicht.«
»Aber du hast doch gesagt, du hättest – etwas über mich gelesen. In den Zeitungen.«
»Das war in der New Yorker Stadtbibliothek. Vor ein paar Wochen erst.«
Er meinte das Zeitungsarchiv dort. »Also hast du meinen Namen nicht genannt, weder deiner Familie noch sonstwem?«
»Nein, nein.« Frank sah Tom an, dann starrte er auf etwas hinter ihm, nun wieder düster und ängstlich.
Tom fuhr herum, doch da war nur Henri, der alte Bär, der auf sie zustapfte, groß und dick wie eine Figur aus dem Märchen. »Unser Aushilfsgärtner. Keine Angst. Fahr dir durchs Haar. Und laß es in Zukunft wachsen. Sag nur ›Bonjour‹, sonst nichts. Mittags geht er wieder.«
Inzwischen war der französische Riese fast in Hörweite. Henri rief mit seiner tiefen, laut dröhnenden Stimme: »’jour, Monsieur Riipley.«
»Bonjour«, erwiderte Tom. »François.« Er deutete auf Frank. »Er jätet ein bißchen Unkraut.«
»Bonjour«, sagte Frank. Er zerzauste sein Haar, indem er sich auf dem Kopf kratzte, dann schlurfte er betont lässig zum hinteren Rand des Rasens zurück, wo er Huflattich und Ackerwinden gejätet hatte.
Tom gefiel Franks Vorstellung. In seiner schäbigen blauen Jacke hätte er ein Junge aus der Gegend sein können, der gefragt hatte, ob er ein paar Stunden für die Ripleys arbeiten könne. Und da auf Henri weiß Gott kein Verlaß war, konnte der sich über Konkurrenz kaum beklagen. Der Mann wußte offenbar Dienstag nicht von Donnerstag zu unterscheiden: Wenn er sich für einen Tag ankündigte, kam er stets an einem andern. Nun schien er nicht überrascht, den Jungen zu sehen, sondern lächelte weiter gedankenverloren in seinen ungepflegten Bart und den herabhängenden Schnäuzer. Er trug eine weite blaue Arbeitshose, ein kariertes Holzfällerhemd und eine blauweiß gestreifte Schirmmütze, wie die amerikanischen Eisenbahner. Henri hatte blaue Augen. Er wirkte immer leicht benebelt, war aber, soweit Tom wußte, nie wirklich betrunken. Vielleicht hatte das Trinken ihm irgendwann früher nachhaltig geschadet. Er war um die Vierzig. Tom zahlte ihm fünfzehn Franc pro Stunde, egal, was er tat, selbst wenn sie nur herumstanden und über Blumenerde redeten oder über die beste Art, Dahlienzwiebeln über den Winter zu bringen.
Tom schlug vor, sie sollten den Kampf an der hundert Meter langen hinteren Front des Gartens wiederaufnehmen. Zwar arbeitete der Junge dort noch, aber weit zu ihrer Linken, nahe des schmalen Weges, der im Wald verschwand. Tom gab Henri die Gartenschere; er nahm die Forke und eine stabile Stahlharke.
»Bauen Sie hier ne flache Steinmauer, und Sie haben den Ärger nich mehr«, grummelte Henri gut gelaunt und griff zum Spaten. Das hatte er schon oft gesagt; Tom hatte keine Lust, die Langeweile noch zu vertiefen, indem er wiederholte, seine Frau und er hätten es lieber, wenn der Garten scheinbar nahtlos in den Wald übergehe. Worauf Henri dann erwidert hätte, bei Tom gehe der Wald nahtlos in den Garten über.
Sie machten sich an die Arbeit. Als Tom eine Viertelstunde später über die Schulter schaute, war von Frank nichts zu sehen. Gut so. Sollte Henri fragen, wo der Junge sei, würde er sagen, er habe sich wohl davongestohlen, wolle anscheinend nicht ernsthaft arbeiten. Doch Henri fragte nicht. Um so besser. Tom betrat die Küche durch die Dienstbotentür. Madame Annette wusch etwas über der Spüle.
»Madame Annette, eine kleine Bitte.«
»Oui,
Weitere Kostenlose Bücher