Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
ein paar Tage noch.«
Tom merkte, daß die Hand des Jungen zitterte, als er die Serviette auf das Tablett legen wollte, dann geistesabwesend faltete und fallen ließ. »Deine Mutter wird inzwischen wissen, daß du Johnnys Paß genommen hast und deiner zu Hause liegt. Sie können deine Spur leicht bis nach Frankreich verfolgen. Wenn dich die hiesige Polizei aufgreift, wird es unangenehmer, als wenn du dich einfach zu Hause meldest.« Er stellte seine Tasse auf Franks Tablett. »Ich gehe jetzt, dann kannst du den Brief an Madame Boutin schreiben. Héloïse weiß, daß du hier bist. Papier hast du?«
»Ja, Sir.«
Tom hätte ihm sonst Schreibmaschinenpapier und einen billigen Briefumschlag gegeben, weil auf dem Papier in der Schreibtischschublade des Gästezimmers Belle Ombres Adresse stand. Tom ging auf sein Zimmer, rasierte sich elektrisch und zog die alten grünen Cordhosen an, die er oft im Garten trug. Der Tag war wunderschön, sonnig und frisch. Er wässerte die Pflanzen im Gewächshaus, überlegte, was der Junge und er am Vormittag tun könnten, holte Forke und Gartenschere hervor. Und wartete gespannt auf die Morgenpost, die gleich kommen mußte. Als Tom das vertraute Quietschen der Handbremse des Postautos hörte, ging er nach vorne zum Tor.
Er wollte nachsehen, ob die Tribune irgendwo eine Meldung über Frank Pierson brachte. Danach suchte er zuerst, obwohl ein Brief von Jeff Constant aus London gekommen war. Eigenartig: Jeff Constant, ein freier Fotograf, schrieb öfter als Edmund Banbury, der eigentlich nur die Galerie Buckmaster zu führen hatte und die meiste Zeit dortverbrachte. Auf den Nachrichtenseiten oder in der »Leute«-Kolumne fand sich nichts über Frank. Da fiel ihm France-Dimanche ein, das alte Klatschblatt, das jeweils zum Wochenende erschien, heute am Samstag also wieder neu. France-Dimanche interessierte sich fast ausschließlich für das Liebesleben anderer Leute, gleich danach aber für Geld. Im Wohnzimmer öffnete er Jeffs Brief.
Tom sah mit einem Blick auf das maschinengeschriebene Blatt, daß Derwatts Name nicht erwähnt wurde. Jeff schrieb, er denke wie Tom, sie müßten einen Schlußstrich ziehen, und habe nach einer Unterredung mit Ed die entsprechenden Leute davon in Kenntnis gesetzt. Mit den »entsprechenden Leuten« meinte er einen jungen Londoner Maler namens Steuerman, der sich für sie an Derwatt-Fälschungen versucht hatte (bislang etwa einer Handvoll), dessen Arbeiten aber jedem Vergleich mit dem Werk Bernard Tufts’ spotteten, der ganz in seiner Arbeit aufgegangen war. Derwatt galt zwar inzwischen als tot, angeblich begraben in dem kleinen mexikanischen Dorf, dessen Namen er nie verraten hatte, doch Jeff und Ed hatten seit Jahren schon gierig nach alten Derwatts »gesucht« und sie auf den Markt geworfen. Jeff schrieb weiter: »Das wird unsere Einnahmen merklich mindern, aber Du weißt ja, Tom, daß wir auf Deinen Rat immer gehört haben…« Er schloß mit der Bitte, seinen Brief zu vernichten. Erleichtert zerriß Tom das Blatt bedächtig in kleine Fetzen.
Frank kam herunter, einen Brief in der Hand. Er trug Jeans. »Das wär’s. Würden Sie mal draufschauen? Ich glaube, das geht so.«
Tom kam er vor wie ein Schuljunge, der seinem Lehrer einen Aufsatz gibt. Zwei kleine Fehler fielen ihm im Französisch auf, doch das fand er normal. Frank schrieb, er habe zu Hause angerufen und müsse sofort zurückkehren – ein Krankheitsfall in der Familie. Er danke Madame Boutin für ihre Güte; der Torschlüssel liege gleich innen hinter dem Gartentor.
»Das geht so in Ordnung, denke ich«, sagte Tom. »Ich bring ihn gleich vorbei. Du kannst Zeitung lesen oder in den Garten gehen. In einer halben Stunde bin ich zurück.«
»Die Zeitung«, sagte der Junge leise. Er verzog das Gesicht, Tom sah seine Zähne.
»Steht nichts drin. Ich habe nachgeschaut.« Tom wies auf die Tribune auf dem Sofa.
»Ich geh in den Garten.«
»Aber hinter dem Haus, klar?«
Frank verstand.
Tom ging hinaus zum Mercedes, die Schlüssel hatte er vom Tisch in der Diele genommen. Kaum noch Benzin – auf dem Rückweg würde er tanken. Er fuhr nicht schneller als erlaubt. Leider trug der Brief Franks Handschrift, aber ihn auf der Maschine zu tippen hätte seltsam gewirkt. Solange die Polizei nicht bei Madame Boutin klopfte, würde sich hoffentlich niemand für die Handschrift des Jungen interessieren.
In Moret parkte Tom hundert Meter weiter und ging zu Fuß zum Haus. Er hatte Pech: Eine Frau stand vor
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