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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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nur: »Hat er denn keine Bleibe? Und kein Geld?«
    Tom antwortete vorsichtig. Sie sprachen englisch. »Geld hat er sicher, genug für ein Zimmer irgendwo, doch gestern abend sagte er mir, er wäre nicht so zufrieden mit seiner Unterkunft, also hab ich ihm angeboten, er könnte über Nacht bei uns bleiben. Dann haben wir seine Sachen geholt. – Ein wohlerzogener Junge«, fügte Tom hinzu, »achtzehn, mag Gartenarbeit und scheint sich damit auch auszukennen. Wenn er eine Weile für uns arbeiten will: DieJacobs haben billige Zimmer.« Die Jacobs, ein Ehepaar aus Villeperce, betrieben ein bar-restaurant mit »Hotel« – drei Zimmer im ersten Stock.
    Héloïse knabberte eine Scheibe Toast und wurde langsam wach. »Du bist so impulsiv, Tomme ! Einen amerikanischen Jungen in unser Haus einzuladen, einfach so! Was, wenn er ein Dieb ist? Du bietest ihm an, hier zu übernachten – woher willst du wissen, daß er noch hier ist?«
    Tom senkte kurz den Kopf. »Du hast recht. Doch dieser Junge ist keiner von diesen Trampertypen. Du hast –« Da hörte Tom ein sanftes Summen, wie von seinem eigenen Reisewecker. Héloïse hatte es offenbar nicht gehört, sie war weiter weg vom Flur. »Ich glaube, das war sein Wecker. Bin gleich zurück.«
    Tom ging hinaus, die Kaffeetasse noch immer in der Hand, schloß die Tür hinter sich und klopfte bei Frank an.
    »Ja? Herein.«
    Der Junge lag im Bett, auf den Ellbogen gestützt. Auf dem Nachttisch stand ein Reisewecker ähnlich Toms eigenem. »Morgen.«
    »Guten Morgen, Sir.« Er strich das Haar zurück und schwang die Beine über die Bettkante.
    Das amüsierte Tom. »Willst du noch länger schlafen?«
    »Nein, ich fand acht eine gute Zeit zum Aufstehen.«
    »Kaffee?«
    »Ja, bitte. Ich kann herunterkommen.«
    Tom sagte, er wolle ihm den Kaffee lieber bringen, und ging nach unten in die Küche. Madame Annette hatte schon ein Tablett mit Orangensaft, Toast und so weiter vorbereitet. Tom wollte es mitnehmen, aber sie sagte, der Kaffee fehle noch.
    Sie goß den Kaffee in die vorgewärmte Silberkanne auf dem Tablett. »Wollen Sie es ihm wirklich bringen, Monsieur Tomme ? Wenn der junge Mann ein Ei will…«
    »Ich glaube, das hier ist genau richtig, Madame Annette.« Er ging hinauf.
    Der Junge nippte am Kaffee. »Aah.«
    Tom schenkte sich aus der Silberkanne nach und nahm auf einem Stuhl Platz. Das Tablett hatte er auf dem Schreibtisch abgesetzt. »Du mußt noch heute morgen diesen Brief an Madame Boutin schreiben. Je eher, desto besser. Ich bringe ihn hin.«
    »In Ordnung.« Frank wurde langsam wach. Die Haare auf seinem Kopf standen hoch wie im Wind.
    »Und schreib ihr auch, wo der Torschlüssel liegt. Gleich hinter dem Tor.«
    Der Junge nickte.
    Tom wartete, während Frank in seinen Toast mit Orangenmarmelade biß. »Weißt du noch, an welchem Tag du von zu Hause fortgegangen bist?«
    »Am siebenundzwanzigsten Juli.«
    Heute war Samstag, der neunzehnte August. »Du warst ein paar Tage in London, danach in Paris – wo bist du abgestiegen?«
    »Hôtel d’Angleterre, Rue Jacob.«
    Das Hotel kannte Tom nur dem Namen nach. Es lag unweit von Saint-Germain-des-Prés. »Kann ich den Paß sehen, den du bei dir hast? Den deines Bruders?«
    Sofort ging Frank zu seinem Koffer, nahm den Paß aus der oberen Innentasche und gab ihn Tom.
    Tom schlug ihn auf und drehte ihn seitwärts: Das Bild eines jungen Mannes, das Haar blonder und rechts gescheitelt, das Gesicht schmaler, doch da war eine gewisse Ähnlichkeit mit Frank in Augen, Stirn und Mund. Trotzdem, wie hatte er es geschafft? Mit Glück, bis jetzt. Dieser Junge dürfte fast neunzehn sein und beinah eins fünfundachtzig, also ein bißchen größer als Frank. In französischen Hotels brauchte man nicht länger Paß oder Personalausweis vorzulegen. Aber die englischen und französischen Einwanderungsbehörden müßten inzwischen wissen, daß Frank Pierson vermißt wurde. Vielleicht hatte man ihnen ein Foto des Jungen geschickt. Und würde sein Bruder nicht bereits bemerkt haben, daß sein Paß fehlte?
    »Du kannst genausogut gleich aufgeben, oder?« Tom wechselte die Gangart. »Wie willst du damit in Europa weiter durchkommen? An jeder Grenze werden sie dich festnehmen. Vielleicht gerade an der französischen.«
    Der Junge wirkte verblüfft, aber auch gekränkt.
    »Ich verstehe nicht, warum du dich versteckst.«
    Franks Blick war unstet, aber nicht verschlagen. Der Junge schien selbst nicht sicher, was wollte. »Ich hätte gerne meine Ruhe – nur

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