Der junge Goedeschal - Roman
Blick streifte scheu seine Hände. Sie waren schmal und die Finger sehr lang. Eine leichte Biegung, mit der das Nagelgelenk ansetzte, erschreckteihn von neuem. Finger mussten grade sein, dies war unrichtig und verkehrt. – »Ein sinnlicher Mund. Ob im Museum etwas zu finden wäre?«
Er sah wieder in den Saal, aber er war unruhig geworden. Sein Auge irrte von den Tanzenden ab und heftete sich auf die kleine Bühne, die die Schmalseite des Raums dem Haupteingang gegenüber abschloss. Der herabgelassene Vorhang zeigte eine albern lächelnde, halbnackte Göttin, die auf ihren Knien ein aufgeschlagenes Buch hielt. Um ihr Haupt tanzte ein Reigen von Putten, die die Gesichter hinter tragischen und komischen Masken verbargen. Zuerst war sein Blick weit und verschwimmend, aber plötzlich konzentrierte er sich: im enger werdenden Gesichtsfeld sah er nichts als die beiden fetten rosa Brüste der Muse. Seine Augen streiften angstvoll die blutroten, wie die Enden einer Zitrone zugespitzten Brustwarzen. Unvermittelt musste er an seine Mutter denken. Verachtung und Ekel vor ihr stiegen in ihm hoch. Aber dann, als sein Blick in den Saal floh, sah er in all diesen Mädchen, diesen flatternden, weißen, fernen, gleichgültigen Abendfähnchen, nichts als Brüste. Ihre rosa Fülle drängte mit betäubendem Geruch auf ihn ein. Und alle wollten etwas von ihm, ihr Geruch war ekelhaft wie der von Schweiß aus den Achselhöhlen, der doch immer von neuem verlockte. Er zitterte und schloss die Augen. Ein kalter Schweiß stand auf seinem Leibe. Seltsam breitbeinig, mit stieren Augen und gespreizten Schritten, ging er dem Ausgang zu. Die frischere Luft der Vorhalle erinnerte ihn an Mantel und Mütze, er suchte die Garderobenmarke heraus und trat auf die Straße.
7
Der eisige, die Straße hindurchjagende Luftzug biss in sein erhitztes Gesicht. Kai griff empor, strich deckend darüber hin, aber nun war es doch, als ob Risse in seinen Wangen aufgegangen seien, ein tiefer, zackiger Spalt schien in der Stirn zu klaffen, und drinnen sang Blut, Blut presste aus allen Adern, weißlich schäumend verhöhnte es die Kälte, und jeder Herzschlag trieb es zu immer wilderem Toben an. Es sang, es schrie, es jagte in ihm. Gegen jedes Fleckchen der Aderwände presste es sich und erhitzte sein Fleisch.
Bilder waren plötzlich da und schon wieder ins Dunkel gerissen von dem Wind, der um die Ecken jagte: die anspringenden Brüste; ein geschlossener, roter, schmiegsamer Mundwinkel Ilses, den mit dem Finger zu durchdringen und auseinanderzutun Versuchung war; das Gesäß eines Jungen, an dem eine Sekunde lang seine Hand geruht – unter dem glatten Wollstoff schlug ein sich strammender Muskel wie der Schwanzschlag eines Fisches –, die rasende Lust überfiel ihn, sich hineinzukrallen in dieses Gesäß und es aufzubrechen wie einen mürben Apfel. Und wieder ergriff Kai jenes Unwohlsein, dieser Schwindel, der ihn ohne Zugriff die Treppe hinabgedreht hätte, dieses atemraubende Herzklopfen, das die Brust zerbrechen zu wollen schien, als er, die Stufen zu seinem Zimmer hinaufsteigend, die starken Beine von Erna gesehen hatte, über deren gestrammten Kniekehlen der weiße Rand einer Hose erschienen war.
Er taumelte. Wie von einem rasenden Zug aus gesehen enttauchten Häuser grell beleuchtet dem Dunkel und entzogen sich mit einer eigenwilligen und düsteren Gebärde seinem Blick. Kein Ruhepunkt! Stolpernd, vornüberfallend, fing er zu laufen an, streifte an Wänden vorbei, deren Poreneinen klebrigen Schleim abzusondern schienen, ein o-förmiger Torbogen suchte ihn anzusaugen, die Luft war erfüllt von einem verdeckten, durchdringenden Geruch, der ihn zittern machte, aber da war die Brücke, der Park, er eilte unter Bäumen, das Eis einer dünn überzogenen Pfütze zerklirrte an seinem Schuh, eine Bank und nun ein Zusammensinken, ein Stillwerden.
»Wovor bin ich geflohen? Wer jagte mich? Was war das? Bin ich krank? Werde ich wahnsinnig? Was frisst an mir und empört mich gegen mich? Diese sich hebenden Fleischmassen, atmend, bedrängend, duftend! – Da ist es wieder!«
Er sah ins Dunkel. Irgendwo schlug der Wind einen losgebrochenen Ast trocken hölzern gegen seinen Stamm. »Nein, schon wieder fort, es lässt sich nicht fangen. Es bestürmt mich, macht mich rasen und ist von neuem verschwunden.«
Ein ungewisser Schein zeichnete auf dem Boden die Schatten der Äste über ihm, sein Fuß tastete dem einen nach und fand sein Bild plötzlich versickert, geendet.
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